Eros
einen
unauffälligen Wartburg um. Ziel der Fahrt ist Leipzig-Grünau, eine
Plattenbausiedlung am westlichen Stadtrand, die man am frühen Morgen erreicht.
Erste Arbeiter verlassen die Siedlung in Richtung Trambahnstation. Man hat im
fünften und letzten Stock eine leere Zweiraumwohnung für Sofie vorbereitet, die
sie während der folgenden Tage auf keinen Fall verlassen soll. In ihrem eigenen
Interesse (welchem sonst?) müsse erst eine Legende erfunden werden. Noch ist
der Befehl als Wunsch formuliert, aber mit Nachdruck. Sofie stellt fest, daß
die Wohnung jener in Braunschweig nicht unähnlich ist, fast ebenso kahl, bis
auf ein Radio, ein schmales Bett, einen Kühlschrank und ungewohnt hartes
Klopapier. Bei den Lebensmittelvorräten finden sich zwei Kästen Pils, und
immerhin gibt es Fernheizung, man muß keine Kohlen schleppen. In den nächsten
Tagen geschieht nichts, Sofie liegt im Bett oder steht am Fenster, fühlt sich
in Sicherheit – was ihr kein wirklich gutes Gefühl gibt, schwer, das zu
erklären, sie könnte es selbst nicht. Steht in ihrem Tagebuch. Aus der Wohnung
traut sie sich nicht, vor den Türspion klebt sie einen Bierfilz, damit man von
außen nicht erkennt, daß Licht brennt. Das Radio ist alt und schwach,
Westsender lassen sich nur mit vielen Knacksern und Hintergrundrauschen
empfangen. Endlich liefert eine Umzugsspedition Möbel, gebrauchte Möbel in
diversen ganz ekelhaften Brauntönen. Laut Fahrtenbuch sollen sie aus einem Dorf
nahe Rostock stammen. Unterschrift wird keine verlangt. Die Nachbarschaft
scheint sich um den Zuzug nicht zu kümmern, sofern sie ihn überhaupt bemerkt.
Sofie erhält Besuch von einer dicklichen, energisch wirkenden Frau, etwas über
fünfzig Jahre alt. Sie trägt Kopftuch und Lederstiefel, besitzt einen Schlüssel
für die Wohnung und sei, sagt sie, zugleich Begrüßungskomitee und
Schulungsoffizier. »Hakusch.«
»Kramer.«
Die Frau mit dem Teint von Boskop-Äpfeln grinst breit. » Ha uptabteilung K ader u nd Sch ulung.
Nennense mich vorläufig einfach Frau Majorin.« Sie bemüht sich um Hochdeutsch,
nur vereinzelt kommt der thüringische Akzent durch. »Wir haben eine Biographie
für Sie erarbeitet. Die lernense auswendig. Hier direkt vor Ort bin ich die
einzige, die Bescheid weiß. So bleibts auch. Wenns Probleme gibt oder Fragen,
bin ich Ihre Anlaufstelle. Ihre neuen Papiere. Hundertprozentig echt. Ihre
Staatsbürgerschaftsurkunde. Gratuliere. Das sind Bücher, die ackern Sie durch.
Von Rostock hamse keene Ahnung, nich? Muß sich ändern. Gehense vorläufig mal
nicht nach draußen, seiense krank, und wennde Nachbarn was fragen, hustense
viel.« Die Frau, eine der ganz wenigen weiblichen Offiziere im MFS, von daher
sicher jemand, der sich durchzusetzen weiß, wirkt an sich nicht unsympathisch.
Das machen die weichen Züge des Gesichtes, das ja eigentlich nur fett ist,
nicht weich, doch liegt in ihrer abgedunkelten Stimme etwas Beschwichtigendes,
Streng-Gutmütiges.
Sofie studiert ihren neuen Personalausweis.
» Inge
Schulz? So heiß ich jetzt?« Es liegt ein gewisser Vorwurf in der
Frage, den die Majorin nicht nachvollziehen kann. Schulz heißt sie ja selber,
nur mit t vor dem z und hinterher e.
Aber warum, motzt Sofie, den Vornamen ändern? Warum könne man ihr
den nicht lassen?
»Was sind schon Namen? Sie waren Goldschmiedefachkraft in Rostock,
seit letztem Jahr arbeitsunfähig wegen eines motorischen Nervenleidens. Nich
wahr?«
»Goldschmiedefachkraft?«
»Paßt Ihnen das nicht? Goldschmied ist gut. Hockt man in
Hinterzimmern rum, wird nicht oft gesehn.«
»Ich hab keine Ahnung vom Goldschmieden.«
»Ebbn. Wer hat die schon. Hier ist übrigens die Adresse einer
Klinik. Sehr gut ausgestattet, dort melden Sie sich nächste Woche.«
»Wofür?«
Da stöhnt Frau Schultze, HA Kader und Schulung, Majorin des MFS,
enerviert auf. Soviele Fragen, das gehört sich ja wohl nicht. »Entziehungskur.
Auf Staatskosten.«
»Ich hab das gut im Griff. Bin weg vom Schnaps.«
»Wird man dann feststellen. Zwei in fünf ist jedenfalls nicht
schlecht.«
»Was bitte?«
»Zwei Kisten Bier in fünf Tagen. Machtn Schnitt von drei Liter.
Nennense normal?«
Aber, protestiert Sofie, sie habe doch nichts anderes zu tun gehabt
in der kahlen Bude. Da lacht Frau Majorin, und in einer fürs Ohr unangenehmen
Tonlage. Fortan kommt sie täglich ein paar Stunden am Nachmittag und gibt die
Nachhilfelehrerin. Frisch erworbenes Wissen über den sozialistischen Alltag
wird gepaukt und
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