ErosÄrger
sah man nicht so glücklich aus wie die anderen. Einen Moment lang verschwammen die glücklichen Gesichter mit den seltsam entrückten Mienen vor meinen Augen und machten dem Wissen Platz. Grob rückte die Kette meine Wahrnehmung und meine Erinnerung wieder zurück und brachte mein Gehirn auf den neusten Stand.
Helena löste ihre Hände von den Ohren und strahlte mich an, als könne sie Gedanken lesen. Warum war ich eigentlich nicht auf die Idee mit dem Ohren-Zuhalten gekommen?
Wenig von mir selbst begeistert sah ich zu, wie die anderen sich neu sortierten und ihre Realität wieder in Einklang mit ihrem re-arrangierten Wissen brachten. Tatsächlich schien das Ganze komplett ohne Risiken und Nebenwirkungen vonstatten zu gehen – zumindest ohne magische Kette.
Sandro schüttelte den Kopf. »Müsste ich jetzt auch nicht jeden Tag hören.«
»Was?« Johannes gönnte mir nur einen flüchtigen Blick. Und auch Orpheus, den Sandro mit einem stoischen Stierblick fixierte, war trotz Lyra anscheinend vollkommen uninteressant.
Umso interessanter fand ich, dass mein Liebes-Magie-Geheilter-Mitarbeiter das Objekt seiner vorhergegangenen Begierde trotzdem anstarrte. Und die blonde Barbie erwiderte den Blick! Nicht sinnlich oder provokativ, sondern einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, sie würde versuchen, den Magier zu beschwören.
Lag aber vielleicht auch nur an meinen Kopfschmerzen. Als ich blinzelte, war die Sekunde der stummen Kommunikation vorüber.
»Wo war ich stehen geblieben?« Ich rieb mir die Schläfen. Plötzlich erschien es mir gar nicht mehr wichtig, mit meinen Mitarbeitern und Ex-Freunden zu reden und ihnen eine Standpauke zu halten. Aber diese Type, die mit Liebeszaubern um sich warf, wie andere Leute mit Kamellen … Und dann auch noch versuchte, es mir in die Schuhe zu schieben … Plötzlich und sehr intensiv war ich versucht, all meine Prinzipien und Moralvorstellungen über Bord zu werfen.
Zehn Minuten später – Sandro hatte versprochen, Johannes bei Hathor zwecks Untersuchung abzuliefern – war ich auf dem Weg nach Hause. Und ungefähr so geladen, wie eine AN602 (die größte, jemals gezündete Atomrakete der Welt). Daran änderte auch nichts, dass ich totmüde war (Menschsein ist anstrengender, als die meisten Wesen wussten), von nur einem Einhorn gestalkt wurde, die Ghoule auf dem benachbarten Friedhof nur mittellaut schmatzten und der Prediger nur müde zu mir hinüber winkte.
Wenn man direkt unter einer privaten Gewitterwolke stand und klatschnass wurde, trug das genau so wenig zu der eigenen Stimmung bei wie die Tatsache, dass man seinen ehemaligen Freunden eigentlich gar nichts mehr zu sagen hatte. Immerhin wurden aus dem schwarzen Wölkchen ab und zu kleine Blitze in meine Richtung abgefeuert, was meiner Stimmung ziemlich genau entsprach. Zum Glück konnte ich den fröhlichen Regenvogel vor der Haustür zurücklassen. Bereit, morgen früh den nächsten, einbeinigen Regentanz zu hüpfen. Mistvieh!
Erleichtert atmete ich ein, als ich das Treppenhaus betrat, Einhorn (Ja, die wurden nervig und so langsam sollte ich mich ernsthaft um eine Lösung dieser Verfolgungen kümmern), Prediger, Ghoule, Vogel und Regen hinter mir ließ und die zufallende Tür mich vom Rest der Welt trennte. Zumindest vom größten Teil. Meine Kopfschmerzen verflogen schlagartig und Wut und Ärger wurden von einer Müdigkeit vertrieben, die einen willensschwächeren Menschen direkt ins Koma geschickt hätte. Mich trieb sie, leicht taumelnd, die Treppe herauf. Drei Stufen später hätte nicht einmal mehr ein Tornado die Empfindungen wiedergeben können, die durch meinen Körper pulsierten. Die Müdigkeit wurde von Adrenalin vertrieben, Ärger und Wut in vollem Umfang wieder da.
Meine Tür war aufgebrochen worden!
Vorsichtig gab ich der Wohnungstür einen Stoß. Ich hätte sie besser zugezogen, denn das Bild, das sich mir offenbarte, war das einer vollkommenen Verwüstung. Es erschütterte mich mehr, als ich mir je hätte vorstellen können. Bis ins Mark.
Hatte ich mich eben noch sicher gefühlt, ruhig und in meinem Leben verankert, war nun alles … Verdammt! Ich wohnte hier erst seit einigen Tagen, aber es war trotzdem mein Eigentum. Meins. Ein Teil von mir. Und jetzt war es kaputt. Verloren. Dabei war es viel zu gut gesichert gewesen, um die Verwüstung einfachen Vandalen in die Schuhe zu schieben. Auch wenn die Schmierereien an den Wänden und die großflächige Zerstörung meiner Einrichtung diesen Eindruck
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