Error
einfach nicht umhin, das als Hundepfeifenpolitik zu betrachten.«
»Hundepfeifenpolitik?«
»Ein Ton in einer Frequenz, die nur bestimmte Leute hören können. Gerade die blaue Farbe dieser Haare ist ein Signal an die Kräfte der Helligkeit. Angehörige der Erdtonkoalition sehen sie und wenden sich angesichts ihrer Geschmacklosigkeit nur mit Schaudern ab. Für die Kräfte der Helligkeit dagegen ist das ein Sammelpunkt.«
»Ich glaube, dass ein blauhaariger Humanoid lediglich stärker ins Auge springt. Und der Sinn einer Werbetafel besteht ja darin, ins Auge zu springen.«
Dem konnte Richard wenig entgegenhalten. Er beugte sich vor, setzte die Ellbogen auf die rote Resopalplatte des Esstischs und stützte den Kopf auf die Fingerspitzen. »Was mich beunruhigt, ist die Trivialisierung«, sagte er. »T’Rain ist eine gewaltige virtuelle Tötungsmaschine. Nichts als Krieger mit Streitäxten und Zauberer mit Feuerbällen, die sich in einer endlosen Serie auf Leben und Tod bekämpfen. Kein richtiger Tod, versteht sich, da sie ja alle nur in den Limbus gehen und wieder neu gestartet werden, aber trotzdem, der Motor, der das ganze System am Laufen hält – und damit natürlich auch Umsatz erzielt –, ist die Spannung, das Gefühl starker Konkurrenz, das aus diesen Konfrontationen Mann gegen Mann erwächst. Weshalb wir Gut gegen Böse hatten. Zugegeben, besonders originell war das nicht, aber es lieferte zumindest eine Erklärung für den ganzen Kampf, der unsere Einnahmequelle sprudeln lässt. Und nun ist wegen des Koaks Gut gegen Böse ersetzt worden durch – ja was? Primär- gegen Pastellfarben?«
Wieder zuckte Devin mit den Achseln. »Bei diesen beiden Jugendbanden, den Crips und den Bloods, funktioniert das auch.«
»Aber ist das die Geschichte, die du geschrieben hast?«
»Es ist ganz genauso gut wie das, was wir vorher hatten.«
»Wieso?«
»Was wir vorher hatten, war in Wirklichkeit auch nicht Gut gegen Böse. Das waren bloß Namen, die wir auf zwei verschiedene Lager geklebt hatten.«
»Okay«, sagte Richard, »ich gebe zu, dass ich solche Gedanken auch schon öfter hatte.«
»Die Leute, die sich selbst böse nannten, haben eigentlich nichts Böses gemacht, und diejenigen, die sich gut nannten, waren nicht besser. Es ist ja nicht so, als hätten die Guten zum Beispiel in der Spielwelt Punkte geopfert, um sich die Zeit nehmen zu können, kleinen alten Damen über die Straße zu helfen.«
»Wir haben ihnen nicht die Gelegenheit gegeben, kleinen alten Damen über die Straße zu helfen«, sagte Richard.
»Eben. Wir haben ihnen bestimmte Aufgaben oder Rätsel gestellt, auf die wir das Etikett ›gut‹ geklatscht hatten; sieht man von der Ausstattung ab, waren sie aber nicht von ›bösen‹ Aufgaben zu unterscheiden.«
»Du meinst also, der Koak ist der Protest unserer Kunden gegen unsere Gut/Böse-Markenstrategie«, sagte Richard.
»Nicht so sehr das, als vielmehr die Tatsache, dass sie etwas finden, was sich für sie realer, intuitiver anfühlt.«
»Und was wäre das genau?«
»Der Andere«, sagte Skeletor.
»Wie bitte?!«
»Ach komm schon, du hast es doch selbst getan, als du die Werbetafel am Flughafen gesehen hast. ›Igitt! Blaue Haare! Wie geschmacklos!‹ Damit hast du diesen Charakter als zum Anderen gehörend identifiziert beziehungsweise eingestuft. Und wenn du das erst mal gemacht hast, wird ihn anzugreifen, ihn zu töten einfacher. Vielleicht sogar ein dringendes Bedürfnis.«
»Wow.« Richard war völlig perplex, denn die Furiose Muse Nummer 5, Doktorandin der vergleichenden Literaturwissenschaft an der University of Washington, die sich einen Sommer lang im kreativen Salzbergwerk von Corporation 9592 geplagt hatte, war kaum einen Absatz weit gekommen, ohne das A-Wort auszusprechen. Es jetzt aus dem Mund von Skeletor zu hören, hatte Richard unversehens aus dem Hier und Jetzt der Unterhaltung gerissen, sodass er sich fragte, ob er wohl in dem Geschäftsjet eingeschlafen war und das hier nur träumte. Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit die F. M. Nummer 5 zu googeln, um herauszufinden, ob sie nach Nodaway umgezogen war.
In Gesprächen über das A-Wort hatte Richard sich immer vor Unbehagen gewunden, da er, ohne ihn recht belegen zu können, den allgemeinen Eindruck hatte, dass bestimmte Leute dieses Wort als eine Art intellektuelles Klebeband verwendeten. Jeder Widerstand dagegen von Richards Seite führte jedoch zu dem Vorwurf, er klassifiziere Leute, die gerne über den
Weitere Kostenlose Bücher