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betrachtet.
Erst in diesem Moment verstand Zula wirklich, was es mit der ganzen Teegeschichte auf sich hatte. Menschen brauchten Wasser, oder sie starben, aber schmutziges Wasser tötete genauso sicher wie der Mangel an Wasser. Man musste es abkochen, bevor man es trank. Die Kultur rund um den Tee war eine Möglichkeit, sich auf Messers Schneide zwischen der einen und der anderen Todesart zu bewegen.
Die Männer auf dem Schiff stammten nicht aus dem Nahen Osten, noch waren sie Chinesen, aber je nachdem, wie Licht und Emotionen ihre Gesichter veränderten, zeigten sie deutliche Anzeichen für beide Abstammungen. Ihre Sprache war eine andere als Chinesisch oder Arabisch, aber zumindest einer von ihnen – der Kompetentere der beiden bewaffneten Männer, der auch mit Fernglas und Handy ausgerüstet war – konnte auf Arabisch umschalten, wenn er mit Jones kommunizieren wollte. Zula gewann den Eindruck, dass sie während der ersten Viertelstunde ihrer Fahrt eine Menge Sprit verheizten, vermutlich in dem Bemühen, Abstand zwischen sich und den Ärger zu bringen. Die Stelle, an der sie sich die Schießerei mit Csongor geliefert hatten, war von unzähligen Hochhäusern aus zu sehen; vielleicht hatte jemand, der in einem oberen Stockwerk hinter der Gardine gestanden hatte, das Ganze beobachtet und sah ihnen jetzt bei der Flucht zu. Aber selbst wenn das der Fall war, brauchte sich Jones eigentlich keine Sorgen zu machen, denn dieses Schiff hatte nichts an sich, was es von all den anderen unterschied. Sie stampften hinaus aufs offene Wasser und fuhren um den nördlichen Teil der Insel herum, direkt vorbei am Ende der Piste, wo ein Düsenflugzeug im Landeanflug so dicht über ihnen schwebte, dass Zula die Räder an seinem Fahrwerk zählen konnte. Eine langsame Drehung nach Süden brachte sie in die belebteste Zone, die Meerenge zwischen Xiamen und seinen Industrievororten auf dem Festland, die von gewaltigen Brücken überspannt und gerammelt voll mit größeren Schiffen war.
»Zur Herzlosen Insel«, sagte Jones, der anscheinend Zulas Neugier in Bezug auf das Ziel ihrer Fahrt spürte.
»Wie bitte?«
Der Skipper hatte Gas weggenommen, und das Schiff hatte seine Geschwindigkeit, nachdem ihm einmal das eigene Kielwasser ans Heck geklatscht war, auf ein viel gemächlicheres Tempo gedrosselt. Sie hatten sich bequem in einen Verkehrsfluss eingereiht – zumeist Schiffe wie dieses und Personenfähren –, der sich zwischen riesigen, vor Anker liegenden Frachtern hindurchschlängelte wie ein Strom, der um Felsblöcke herumfließt.
Jones machte eine unbestimmte Kopfbewegung zu einem südlichen Horizont hin, der übersät war mit kleinen Inseln, die aber auch Landzungen des asiatischen Kontinents sein konnten, die in den Hafen hinausragten. »Umschlagplatz der Fischereiflotte«, erklärte er. »Wirtschaftsmigranten aus ganz China gehen dorthin, weil ihnen Arbeit versprochen worden ist. Wenn sie ankommen, stellen sie fest, dass es nichts für sie gibt, können es sich aber nicht leisten zurückzufahren. So arbeiten sie dann regelrecht als Sklaven.« Er deutete mit dem Kopf auf ein Mitglied der Besatzung, das gerade die Teekanne auffüllte. »Natürlich hat die Insel einen offiziellen Namen. Diese Leute hier nennen sie aber die Herzlose Insel.«
Wäre das eine richtige Unterhaltung gewesen, hätte Zula jetzt vielleicht weiter nachgefragt. Allerdings schien das unnötig zu sein. Sie konnte es sich selbst ohne Mühe zusammenreimen. Diese Männer auf dem Schiff gehörten einer muslimischen Volksgruppe aus dem fernen Westen an. Sie waren so, wie Jones es beschrieben hatte, auf die Herzlose Insel gekommen. Da sie keine andere Möglichkeit hatten, ihrem Leben Sinn zu geben, hatten sie sich von einer Art radikaler Gruppe anwerben lassen, die als Teil eines ganzen Netzwerks auch Kontakt zu Leuten aus dem Dunstkreis von Abdallah Jones hielt. Und als Jones beschlossen hatte, nach China zu kommen, hatten diese Männer ihm das nötige Unterstützungssystem zur Verfügung gestellt.
Da Zula den Eindruck hatte, dass er noch nicht fertig war, richtete sie weiterhin den Blick auf ihn. Er wiederum betrachtete sie mit einer Miene, die man nur schwer deuten konnte, da eine Seite seines Gesichts durch eine Schwellung deformiert war und er ohnehin nicht gerade der am leichtesten zu durchschauende Mensch war. »Diese Männer arbeiten mit mir zusammen«, sagte er, »weil sie das so wollen. Ich habe keine Macht über sie. Wenn sie anfingen, meine Befehle
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