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die Meerenge aber erst einmal in Richtung offenes Meer verlassen, würden sie alle Arten von Aufmerksamkeit auf sich ziehen, denn dort gab es nichts, was nicht taiwanesisch war.
Die backbordseitige Küste – der auf dem Festland gelegene Vorort von Xiang’an – war weniger bebaut als die Küstenlinie von Xiamen an Steuerbord, sie erstreckte sich weiter nach Osten und brachte sie daher näher an Kinmen heran. Sokolow sagte, er wolle an dieser Küste entlang weiterfahren, und Olivia gab diese Anweisung an den Fahrer weiter.
Jetzt ging Sokolow nach vorne und setzte sich neben den Mann. Er hatte seinen CamelBak dabei. Nachdem er seine Taschenlampe angemacht und sich wie eine Zigarre in den Mund gesteckt hatte, leuchtete er in den Rucksack, dessen Reißverschluss er aufgezogen hatte. Der war mit allerhand Plunder vollgestopft, die vorherrschende Farbe war jedoch das schwummrig machende Magentarot chinesischer Banknoten mit einem hohen Nennwert. Viele davon lagen als einzelne, zerknitterte Scheine darin, doch Sokolow wühlte sich durch sie hindurch und holte ein eingepacktes, zwei oder drei Zentimeter dickes Bündel heraus. Er ließ das Licht darauf scheinen, während er in das Gesicht des Fahrers hochschielte, um sich zu vergewissern, dass es auch bemerkt worden war. Dann zog er einen Plastikbeutel hervor – einen weißen Wäschesack, auf dem das Logo eines Luxushotels prangte. Er ließ das Geldbündel hineinfallen und rollte das Ganze zu einem ordentlichen Paket zusammen.
Dann blickte er Olivia an. »Bitte steuern Sie Boot«, sagte er.
»Ich werde jetzt das Steuer übernehmen, gehen Sie bitte zur Seite«, sagte sie auf Mandarin zu dem Fahrer.
Der bewegte sich nur widerwillig.
»Ich habe diesen Mann jetzt eine Weile beobachtet, und ich glaube, Leuten, die nicht seine Feinde sind, würde er nie etwas zuleide tun«, sagte sie. »Ich glaube, es wird alles gut ausgehen.«
Den Blick unverwandt auf Sokolow gerichtet, stand der Mann auf und machte seinen Platz frei. Olivia kletterte über die Rückenlehne seines Sitzes und richtete sich hinter dem Steuerrad ein. Sie suchte sich ein Licht in der Ferne als Punkt aus, auf den sie erst einmal zuhielt.
Sie hatten die Meerenge verlassen und waren in die Fänge kräftiger Ozeanwellen geraten, die das kleine Boot herumschubsten. Um den Schwerpunkt niedrig zu halten, setzte der Fahrer sich auf eine der Bänke. Sokolow kniete sich vor dem Mann hin, warf ihm das eingewickelte Geldbündel zu und deutete mit Gesten an, er solle es sich in die Hose stecken. Der Chinese, dessen Stimmung von jämmerlicher Angst in äußerste Neugier überging, folgte der Aufforderung. Dann gab Sokolow ihm eine Rettungsweste und ahmte pantomimisch das Anlegen einer solchen Weste nach. »Näher zum Strand«, sagte er zu Olivia, worauf sie das Boot näher an einen Wattstreifen lenkte, der sich jetzt bei Niedrigwasser von der Küste von Xiang’an her ausdehnte und matt deren rosa-orangefarbene Lichter reflektierte.
Der Fahrer zog die Rettungsweste an und ließ den Gurt um seine Taille zuschnappen. Sokolow, der sie inspizierte wie ein Fliegermajor den Fallschirm eines Soldaten, riss einmal heftig an dem Gurt und zog ihn noch ein Stück fester. Dann hielt er sich die Faust, Daumen und kleinen Finger abgespreizt, seitlich an den Kopf. Der Fahrer, der diese universelle Geste verstand, griff in seine Tasche und holte sein Handy heraus, das Sokolow konfiszierte.
Dann machte Sokolow eine kleine ruckartige Kopfbewegung und starrte dem Chinesen erwartungsvoll in die Augen.
Der Mann wollte nicht gehen, erreichte jedoch bald einen Punkt, wo er lieber ertrinken, als diesen Blick noch länger aushalten wollte, sodass er die Hand hob, sich die Nase zuhielt und mit einem Satz über Bord sprang.
»Kinmen«, sagte Sokolow. »Höchstgeschwindigkeit.«
Olivia drehte das Steuerrad kräftig nach Steuerbord und schob den Gashebel bis zum Anschlag vor. Der Motor heulte auf, das Boot schoss vorwärts in die Dunkelheit und fing an, klatschend über quer zu ihm verlaufende Wellenkämme zu schießen. Sokolow kam nach vorne, setzte sich neben Olivia und legte verschiedene Schalter am Armaturenbrett um, bis er den gefunden hatte, der die Fahrtlichter ausschaltete.
Dann versuchte er eine Zeitlang, dem holprigen Aufschlagen des Bootsrumpfs auf den Wellen zum Trotz, das kleine Display seines Handys zu lesen.
»Wird taiwanesisches Militär auf Boot schießen?«
»Kann sein.«
»Sie schwimmen?«, rief er.
»Sehr gut«, sagte
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