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gestohlene Niere zurückzubekommen: Sie sei heute Morgen von Vancouver nach Seattle geflogen und habe einen marineblauen Chevy Trailblazer gemietet.
Seamus schickte eine höfliche Nachricht zurück, in der er Stan ermahnte, seinen Hosenschlitz zu schließen, wenn er fertig sei, und versprach, ihm bei dessen nächstem Besuch in Zamboanga einen Drink zu spendieren, falls Stan die testikuläre Kraft besitze, sich einem solchen Ort auf weniger als tausend Kilometer zu nähern.
Dann rief er eine Google-Karte des Stevens-Passes auf. Der Pass lag an einer zweispurigen Nebenstraße, die Google nicht einmal mehr darstellte, nachdem er ein paarmal den Verkleinerungsbutton angeklickt hatte. Nach weiteren Klicks kam Seattle, dann Vancouver in den Blick, und dann, weiter im Osten und in der Nähe der Grenze zu Idaho, Spokane.
Warum hatte sie einen großen SUV gemietet? War es der einzige verfügbare Wagen gewesen? Oder rechnete sie damit, abseits von Straßen unterwegs zu sein?
Irgendetwas, was Csongor vorhin gesagt hatte, nagte an ihm. Hatte sich in den spärlichen vier Stunden, die er Schlaf gefunden hatte, in sein Gehirn gebohrt: Hilft es, dass Marlon zwei Millionen Dollar hat?
Die schnodderige Antwort – stets das Erste, was Seamus einfallen würde – lautete: Aber ja, mit so viel Geld könnte er sich einen Businessjet mieten und direkt hinfliegen.
Was dazu führte, dass er über Flugwege und Grenzfomalitäten nachdachte.
Es war eine schwachsinnige Idee und nur als Gedankenexperiment überhaupt erwägenswert, aber: Angenommen, sie täten genau das? Mieteten einen Businessjet und flögen damit in den Pazifischen Nordwesten?
Dann hätten sie immer noch das kleine Problem, dass Marlon und Yuxia kein Visum hatten. Was ein Showstopper wäre, wenn sie in Sea-Tac, Boeing Field oder sonst einem internationalen Flughafen mit Einreisekontrollen landen würden.
Warum also nicht einfach mitten im Nirgendwo landen? Diese Kontrollen komplett vermeiden?
Antwort: Man würde sie auf dem Radar bemerken. Theoretisch. Aber wenn sie nun etwas Trickreiches täten, um das zu vermeiden? Was sollte sie eigentlich davon abhalten? Abgesehen davon, dass ihr Pilot sich weigern würde, es zu tun, weil er nicht erwischt und ins Gefängnis gesteckt werden wollte.
Es war also doch nur ein verrücktes Gedankenexperiment. Aber es hatte einen Nebeneffekt, nämlich den, dass es ihn zwang, sich genau dieselben Gedanken zu machen, die sich Abdallah Jones zwei Wochen zuvor gemacht hatte. Abdallah Jones musste sich dieselbe Google-Karte angesehen, den Bergketten nachgespürt, verheißungsvolle Grenzübertrittspunkte heran- und weggezoomt haben.
Aus irgendeinem Grund war Seamus mit einem Mal voll und ganz von Olivias Theorie überzeugt. Jones musste nach Nordamerika geflogen sein. Es war ohne weiteres machbar.
Und er musste den Flug aus irgendeinem Grund abgebrochen haben und in Kanada gelandet sein. Warum genau spielte eigentlich keine Rolle. Aber wenn er in den Staaten gelandet wäre, hätte er mittlerweile etwas unternommen. Dass er schon so lang stillhielt, ließ darauf schließen, dass er sich auf die kanadische Grenze zubewegte und nach einer diskreten Möglichkeit suchte, sie zu überqueren.
Wie genau würde er das anstellen?
»Was schauen Sie sich da an?«, fragte eine Stimme hinter ihm. Csongor, der wach lag und mit dumpfem Blick auf Seamus’ Laptop blickte.
»Ich habe meine eigene Windmühle«, sagte Seamus.
»Jones?«
»Ja. Und ich glaube, er ist irgendwo auf dieser Karte.« Er betrachtete die unteren hundertsechzig Kilometer von British Columbia, den größten Teil des Bundesstaates Washington und den Landzipfel von Idaho. »Und ich wette, er hat Ihre Dulcinea dabei. Die süße Herrin Ihres gefangenen Herzens.«
»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Csongor.
»Darauf, dass die Botschaft aufmacht. Und …«
»Und was?«
Seamus packte mit beiden Händen seine Haare und zog daran. »Einen Hinweis darauf, wo genau er die Grenze überqueren will, verflucht noch mal. Scheiße, Mann, sobald man die Außenbezirke von Vancouver hinter sich lässt, kommt bis nach Sault Ste. Marie nur noch Wildnis.«
Und in diesem Moment kam er darauf. Vielleicht, weil er wirklich schlau war. Vielleicht, weil er Glück hatte. Vielleicht, weil in der kleinen Symbolleiste unten auf seinem Computerbildschirm ein kleines Tab mit der Aufschrift »T’Rain« blinkte und seine Aufmerksamkeit erheischte.
Er klickte das Tab an. Das aufgehende Fenster zeigte,
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