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Titel: Error Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Stephenson
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fragte Seamus.
    Unmittelbar vor dem Aufwachen hatte sie von der Flucht aus Eritrea geträumt, von dem sechsmonatigen, barfüßigen Marsch in den Sudan und der Suche nach einem Flüchtlingslager, das bereit war, ihre Gruppe aufzunehmen. Die Gesichter waren in ihrer Erinnerung verblasst, aber die Landschaft, die Vegetation, das Gefühl des Marschierens waren ihr geblieben und gleichsam zum Generalbass geworden, der vielen ihrer Träume zugrundelag. Normalerweise sah sie darin Norderitrea, durch das sie in den ersten Tagen der Flucht marschiert waren, als sie sich ganz den neuen Anblicken und Eindrücken geöffnet hatte, die sich ihr jeden Augenblick zu bieten schienen, sobald sie die Höhlen hinter sich gelassen hatten, in denen sie ihre ersten Jahre verbracht hatte. Das Terrain bestand aus endlosen braunen Hügeln, unterbrochen von den Arroyos saisonaler Bäche und spärlich mit struppiger Vegetation überzogen. Ganz anders als das Terrain, durch das sie jetzt rannte und das dicht mit riesigen Zedern bestanden und von Farnen bedeckt war. Aber sie wusste, wenn sie genug Höhe gewann, würde sie sich in einem Gelände wie dem wiederfinden, das sie und Chet gestern durchquert hatten: steiles, weit offenes Land, in dem man kilometerweit sehen konnte. Und ob sie das tat, war keineswegs in ihr Belieben gestellt. Wenn sie unten in dem tiefen, feuchten Tal des Flusses bliebe, der von American Falls aus südwärts floss, würde sie das in die falsche Richtung führen, nämlich auf eine größere Seenplatte mit Abflüssen in Südrichtung. Es wären vielleicht zwei Tage Fußmarsch bis zu diesen Seen, ehe sie eine Stelle erreichte, wo sie Hilfe holen konnte. Um zu Onkel Jake zu gelangen, würde sie aus dem Tal heraus bis zu den oberhalb der Baumgrenze liegenden, unteren Ausläufern des Abandon Mountain aufsteigen und diese dann mehrere Kilometer weit überqueren müssen, bis sie zum Quellgebiet des Prohibition Crick gelangte. Dieser Teil der Strecke, das wusste sie bereits, würde der schwierigste und gefährlichste sein: Dort würde sie aufbieten müssen, was immer die Anführer ihrer Flüchtlingsgruppe in den schlimmsten Tagen ihres Trecks aufgeboten hatten, als sie erschöpft waren, an Nahrungs- und Wassermangel litten und von Männern mit Gewehren verfolgt wurden.
    Das Einzige, was es überhaupt möglich machen würde, war, dass sie einen Vorsprung hatte. Die Dschihadisten hatten eine längere Strecke aus dem Tal vor sich als sie. Auch so war es ein langer Aufstieg. Und sie befürchtete, dass sie imstande sein würden, den Vorsprung zu verkürzen, sie vielleicht sogar einzuholen, ehe sie oberhalb der Baumgrenze in eine Landschaft gelangte, in der es unmöglich war, sich zu verstecken.
    Es gab also nur eins: ein Höllentempo vorzulegen und unter keinen Umständen anzuhalten. Sie hatte sich sämtliches Wasser, das sie noch hatte – den im Schloss geklauten CamelBak, ungefähr dreiviertelvoll –, und so viele Energieriegel geschnappt, wie sie sich in die Taschen stopfen konnte, und war dann einfach in die Richtung losgelaufen, in die Richard gezeigt hatte. Weiter unten machten die Dschihadisten es ihr leicht, indem sie sich durch Zurufe und mit lauten Walkie-Talkies verständigten.
    Ihr erstes Ziel – das sie etwa eine halbe Stunde nach der Trennung von Richard erreichte – bestand darin, auf einen Pfad zu stoßen, der in Kehren aus der Schlucht herausführte. Die Idee, einem markierten Pfad zu folgen, war in gewisser Weise lächerlich, da die Dschihadisten die gleiche Route nehmen und ihr deshalb den ganzen Weg über auf den Fersen sein würden. Aber das Terrain ließ ihr keine Wahl; der Hang wirkte beinahe senkrecht, wenn man ihn von unten sah, und war ein wildes Durcheinander aus umgestürzten und verrottenden Baumstämmen. Sich querfeldein bis nach oben durchzuschlagen würde Tage dauern, wenn es überhaupt möglich war. In Serpentinen den Weg hinaufzumarschieren, hatte Richard ihr versichert, war von einem Menschen mit einer schweren Last auf dem Rücken in Stunden zu schaffen.
    Sie glaubte nicht, dass sie Stunden hatte.
    Sie blieb jäh stehen, als der Pfad in Sicht kam, zog sich dann mehrere Schritte zurück und ging zwischen Farnwedeln in die Hocke, um einen Moment lang zu lauschen und nachzudenken. Während sie das tat, sog sie Wasser aus dem Schlauch des CamelBak und zwang sich, einen Riegel zu essen. Die Geräusche, die die Dschihadisten machten, waren während ihres Laufs schwächer geworden, was natürlich besser

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