Erschiess die Apfelsine
Doppelgarage und wartete auf ihn. Er prahlte damit, wie er heimlich schon mal zur Probe fuhr, wenn sein Vater nicht zu Hause war. Mit einem Mädchen an seiner Seite. Was das Auto betraf, konnte man sich eine ganze Menge vorstellen. Sand im Benzintank. Eine Flasche Motoröl über die Ledersitze, ein klebriger Gestank, der nicht rauszukriegen war. Der Lack, der so bescheuert glänzte, man brauchte nur einen Nagel. Oder einen Schraubenzieher. Neue Rallyestreifen hier und da, ein Zickzackmuster über die Windschutzscheibe. Und dann die Reifen, pfffft. Der Rückspiegel und die Antenne, knack und weg. Die Türen, ein Tritt und eine Beule. Und dann stellt man heimlich eine Kamera aufs Dach. Filmt, wenn Ludvig in die Garage kommt, wenn er gerade eine Spritztour mit seinem Mädchen machen will. Sein Gesichtsausdruck, in Großaufnahme, gerade als er den Schrotthaufen entdeckt. Als er schockiert kapiert. Genau diesen Augenblick möchte ich immer und immer wieder genießen.
Die Schweinefresse dagegen soll Prügel erhalten. Jede Menge Prügel. Zuerst ein paar fette Fausthiebe ins Gesicht, genau wie sie es mit Pålle gemacht haben. Geplatzte Lippen und Augenbrauen, bis die ganze Visage angeschwollen ist. Dann ein Schlagholz. Rücken, Schenkel, Kniescheiben. Ihn schlagen, bis er zusammenbricht. Bis er nicht mehr aufstehen kann. Er soll zu einem Sack werden, einem weichen Stück Scheiße, das nie wieder andere ärgern kann.
»Schöne Grüße von Pålle«, würde man zum Schluss sagen. »So möchte Pålle sich bedanken.«
Und die Schweinefresse würde kapieren. Die Rache hatte ihn erwischt. Das Böse, das er verbreitet hatte, war zurückgekehrt. Die Gerechtigkeit war auf die Erde gekommen.
Danach würde es weitergehen. Man würde alle bösen Menschen auf der Welt heimsuchen. Sie wie Brotkrümel von einer Tischplatte wischen. Alle Arschgeigen, alle mit ihrem höhnischen Grinsen, alle Plaudertaschen, alle, die herumliefen und allem, was sie nicht verstanden, Schwuchtel, Schwuchtel hinterher riefen, jeder einzelne Idiot, der unsere schöne Welt zerstörte und einem das Leben schwer machte.
Wie würde man sie wegwischen können?
Sie töten.
Wie sollte man sie töten?
Erschießen. Ein riesiges Grab ausheben, sie hineinwerfen und schießen, schießen, bis die Munition zu Ende war.
Wer würde schießen? Ich selbst. Ruhig stünde ich dort am Grubenrand und würde den ekligen Job erledigen, bis sich nichts mehr rührte.
Die Hassgefühle hielten bis zum Abend an. Mama war nicht zu Hause, also kochte ich mir Makkaroni mit Würstchen zum Mittag. Aß die ganze Dose auf, acht Würstchen. Dachte an Pålles Revolver, das schöne Gefühl, zu schießen. An den Rückstoß, der einem durch die Arme fuhr.
Ich erinnerte mich daran, wie ich ohnmächtig am Fuß der Treppe gelegen hatte. Wie friedlich das gewesen war. Ohne jeden Druck, keine Unruhe mehr in der Brust. Einfach weggleiten. Sich in ein Boot legen und aus dem Land schweben, einem fernen Horizont entgegen. Sehen, wie die Dämmerung sich dort oben ausbreitet. Die Sterne. Sternenstaub. Sich zur Ruhe wiegen lassen.
Der Hass wurde langsam durch Traurigkeit ersetzt. Ich legte mich auf mein Schlafsofa und fragte mich, ob ich nicht alles hinter mir lassen sollte. Wie sie mich dann hier finden würden, steif und kalt. Bereits unterwegs auf der letzten Reise. Mama würde weinen. Ihr neuer Freund würde es wahrscheinlich nur gut finden. Pålle würde mich wohl vermissen, aber in erster Linie, weil er selbst so einsam war. Die in der Schule wären erleichtert. Die Schüler, weil sie keine blöden Diskussionen mehr führen mussten. Die Lehrer, weil sie mir keine Zensuren mehr geben mussten, ein Zeugnis weniger zu schreiben hatten.
Es gab nur einen Punkt, der mich traurig machte.
Niemand würde je erfahren, dass ich es gewesen war, der die Gedichte am Schwarzen Brett geschrieben hatte. In der Zeitung stand ja, dass es Leonardo gewesen war. Niemand würde glauben, dass dieses picklige Bleichgesicht von den Naturwissenschaftlern, der im Putzkittel herumgelallt und sich die Treppe hinuntergestürzt hatte, das gewesen war. Wenn ich jetzt von der Erdoberfläche verschwand, wäre der ganze Kampf sinnlos gewesen.
Was war der Sinn des Lebens, wenn niemand wusste, wer ich wirklich im Innersten war? Wenn niemand meiner Seele näher kam? Sollte ich wirklich verschwinden, bevor die Welt mich kennengelernt hatte?
Aber wen könnte das interessieren?
Wer von allen Menschen in dieser riesigen Welt würde
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