Ersehnt
und außer den Ratten, die deine Knochen fressen, würde niemand um dich trauern. Aber ich bin besser als das, du lausiges Stück Pferdescheiße!« Jetzt schrie ich ihn an und meine Wut war wieder aufgeflammt.
Dann bebte der Boden und ich hörte ein zweites, noch lauteres Wutgebrüll. Incy schaute auf und seine Mimik wechselte zu blankem Entsetzen ...
... angesichts des wutschnaubenden Berserkers, der auf ihn zugedonnert kam.
Also war ich doch tot. Nach allem, was ich versucht hatte, war es Incy doch gelungen, mich zu erwürgen. Es war vorbei. Wie ein unbeteiligter Zuschauer beobachtete ich, wie Reyn Incy am Mantel packte und ihn über den Boden warf.
So stellte ich mir den Himmel vor: zuzusehen, wie Reyn Incy vermöbelte. Das würde ich jetzt bis in alle Ewigkeit machen. Gar nicht so übel.
Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich war unsterblich. Man konnte mich nicht erwürgen. Der Himmel roch vermutlich besser und war entschieden wärmer. Ich wusste nicht einmal, ob es überhaupt einen Himmel gab und ob ich da Zutritt haben würde - vermutlich nicht. Außerdem rannten River, Asher, Solis und Anne auf mich zu. Anscheinend lebte ich also doch noch und es war alles vorbei.
25
Nicht ganz vorbei.
»Nastasja!« Asher sah mich prüfend an, nahm mir vorsichtig das Schwert aus der Hand und untersuchte meine Handgelenke, die geschwollen und aufgeschürft waren. River und Solis setzten sich in Bewegung,um Reyn von Incy herunterzuzerren, der sich zwar wehrte, aber gegen jemanden, dessen einziger Lebenszweck die Vernichtung anderer Leute gewesen war, natürlich keine Chance hatte. River sagte etwas und zeichnete ein Sigil in die Luft. Sofort fiel Incy in sich zusammen wie ein nasser Sack und starrte blicklos an die Decke.
Solis nahm Reyn am Arm und zog ihn weg, denn Reyn stand immer noch schwer atmend und mit geballten Fäusten über Incy.
Jetzt, wo Incy keine Bedrohung mehr war, wurde mir wieder schwindelig und ich war geradezu lächerlich müde. Ich bemerkte, dass Solis und Anne bei Boz und Katy waren. Ich hörte sie Gebete murmeln, was mir wieder bewusst machte, dass sie wegen mir diesem Horror ausgesetzt waren.
Sie waren hier. Während meiner schlimmsten Momente mit Innocencio hatte ich mich danach gesehnt, River wiederzusehen, eine zweite Chance bei Reyn zu bekommen. Jetzt war ich natürlich sehr erleichtert und dankbar, aber auch total deprimiert, dass sie den absoluten Tiefpunkt meines Lebens miterlebt hatten. Ich hatte ihre Hilfe und unendliche Güte mit Füßen getreten, hatte sie verlassen und mich prompt in die größten nur denkbaren Schwierigkeiten gebracht.
Diese Leute, deren Meinung mir so unendlich viel bedeutete, sahen mich ausgerechnet jetzt, wo ich wirklich am Boden war.
River kam und kniete sich neben mich. Ich musste wieder daran denken, wie wir uns zum ersten Mal begegnet waren; auch da hatte sie neben mir gehockt, während ich eisiges Bachwasser aus meiner Fuchspelz-Stola wrang. Und jetzt wollte ich ihr eigentlich nicht in die Augen sehen, zwang mich aber dazu. Ich sah Besorgnis und Liebe. Meine Nase war sofort wieder so verstopft wie jedes Mal, wenn ich kurz davor bin, loszuheulen. River strich mir mit einer Hand das quietschmagentafarbene Haar aus der Stirn und wir betrachteten die Szenerie. Jetzt, wo ich nicht mehr unter einem Bann stand, war alles noch viel schlimmer: das Lagerhaus, die ausgedörrte Hülle von Boz, die kopflose Katy, der Zirkel aus Blut, die Ketten und die Kerzen, die für dunkle, widerwärtige Magie missbraucht worden waren. Ich wusste nicht, wie ich jemals über all das hinwegkommen sollte, und mein Triumph über Incy, über die Dunkelheit, löste sich in Rauch auf.
River sah mich mit ihren klaren hellbraunen Augen an. Sie strich mir sanft über die Schulter, was dennoch so schmerzhaft war, dass ich mich beinahe noch einmal übergeben hätte. Dann beugte sie sich dicht an mein Ohr und flüsterte so leise, dass es die anderen nicht hören konnten: »Das hier ist sehr schlimm. Aber ich habe schon Schlimmeres gesehen. Du wirst darüber hinwegkommen.«
Ich fing an zu weinen. »So ausdrucksstark ist mein Gesicht nicht.«
***
Meine Nase war kalt. Der restliche Teil meines Körpers fühlte sich warm an. Die Matratze unter mir war hart. Ich streckte probeweise eine Hand aus und spürte die Bettkante. Offensichtlich ein schmales Bett. Mit angehaltenem Atem öffnete ich langsam die Augen. Das Erste, was ich sah, war der
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