Ersehnt
mein Unterbewusstsein eigentlich? Ich öffnete die Augen, wütend, dass Anne mich dazu gezwungen und River sie auch noch unterstützt hatte. Daisuke, der mir gegenübersaß, wirkte unglücklich, denn er hatte noch keine Lösung gefunden, was den Topf seines Bruders betraf. Rachel sah nachdenklich aus. Anne betrachtete mich. Und Amy? Die den Bullen reiten wollte? Ich warf ihr einen Blick zu, fuhr erschrocken zurück und unterdrückte nur knapp einen Aufschrei.
Amy hatte Incys Gesicht, hübsch und überirdisch. Sie hatte Incys düsteres, intensives Starren, seine dunklen Locken, seine Augen, die mich fixierten. Sofort waren meine Visionen, meine Träume von ihm wieder da ... Ich schaffte es nur mit Mühe, nicht zurückzuspringen. Stattdessen blinzelte ich und holte tief Luft und dann war Amy auf einmal wieder nur Amy.
Alle starrten mich an.
Ich fuhr mir mit der Hand über den Mund. Sie zitterte. »Sorry«, murmelte ich. »Optische Täuschung.« Er verfolgte mich, lungerte in meinem Kopf herum und machte mir Angst. Es war schon schwierig genug, mit den Visionen und Träumen umzugehen. Aber wenn er mir jetzt auch schon mitten am Tag den Blick vernebelte, hatte ich ein echtes Problem.
Ich hätte vor Erleichterung aufschluchzen können, als ge;nau jetzt die Glocke fürs Abendessen läutete. Ich sprang auf, schleuderte mein Buchweizenkissen zu den anderen in die Ecke und wollte hinter Rachel hinauslaufen.
Nicht so schnell, Grashüpfer.
»Nas? Einen Moment noch.«
Ich drehte mich extrem zögerlich zu Anne um. Die anderen verzogen sich - hatten die ein Glück! - und wir blieben in dem kleinen Arbeitsraum zurück.
Anne sah aus, als wüsste sie nicht, wie sie etwas formulieren sollte. Schließlich sagte sie: »Ist alles in Ordnung? Du hast einen Moment lang beunruhigt ausgesehen.«
»Oh, mir geht's gut«, beteuerte ich wenig überzeugend. Anne wartete noch ein paar Sekunden, ob ich zusammen;brechen und die Wahrheit sagen würde, aber als ich es nicht tat, sprach sie weiter. »Ich weiß, dass du bei einer früheren Meditationsrunde die Gedanken der anderen hören konntest. Ich schätze - ich war nicht sicher, ob du das immer kannst oder ob es nur Zufall war. Aber - es ist nicht in Ordnung, andere zu belauschen.«
»Gibt es eine Möglichkeit, es zu verhindern?«, fragte ich. Anne blinzelte verblüfft. »Ja. Du hörst also nicht mit Absicht zu?«
»Nein. Ich ... ich fühle einfach nur, wie sich mein Bewusstsein öffnet.« Ich musste wieder an die Gemeinheiten denken, die meine innere Nasty mir an den Kopf geworfen hatte. »Manchmal zu sehr.«
»Okay, das wird unsere nächste Lektion«, sagte Anne. »Ich musste noch nie jemanden lehren, das nicht zu tun, weil es fast niemand kann. Aber bei dir macht es Sinn - ich hätte früher daran denken sollen. Ich bringe es dir bei, einverstanden?« »Klar.« Ich wollte gehen, aber sie war noch nicht fertig. »Nastasja, am Ende hast du wirklich verängstigt ausgesehen. Als du Amy angesehen hast. Was war los?«
Ich blickte Anne hastig wieder an, denn immerhin war Amy ihre Schwester. »Nichts! Ich meine, Amy ist in Ordnung. Es war nur - mein Kopf hat mir einen Streich gespielt. Für eine Sekunde sah sie aus wie jemand anders - der Freund, den ich in London zurückgelassen habe. Incy.«
Anne runzelte die Stirn. »Hattest du an Incy gedacht?« »Nicht in diesem Moment. Aber es hat nichts mit Amy zu tun. Sie erinnert mich nicht an ihn oder so.«
»Hm«, sagte Anne und begleitete mich zur Tür hinaus. Ich zuckte verlegen mit den Schultern und wollte nichtmehr darüber reden. Hatte mir mein Kopf damit sagen wollen, dass ich hoffnungslos dunkel war? So dunkel wie Innocencio? So dunkel, wie meine Eltern gewesen waren? Hatte ich es im Blut, war es unausweichlich? Und ... wenn es stimmte, hatte es dann überhaupt einen Sinn, dass ich hier war?
11
Sei aktiv, hatte mein Unterbewusstsein verlangt. Bring es in Ordnung. Werd erwachsen.
Wenn es nach mir ginge, konnte mein Unterbewusstsein gern bis ans Ende meiner Tage die Schnauze halten. Nein, das war natürlich Blödsinn. Aber trotzdem.
Ich hatte keine Ahnung, was es von mir wollte. Ich dachte während Charles' hervorragendem chinesischem Essen darüber nach, dann unter der Dusche und schließlich noch zwei Sekunden, bevor ich vollkommen erledigt ins Bett fiel. Als ich um 5.29 Uhr, eine Minute vor dem Weckerklingeln, hochfuhr, wusste ich, dass ich irgend so einen
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