Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
geworfen hatte. Daneben lagen wie üblich Muscheln und Seetang verstreut. Die Grabungsstätte war leer. Er fühlte eine überwältigende Erleichterung und gleichzeitig die Qual der Enttäuschung. Er hatte mehr oder weniger damit gerechnet œ darauf gehofft -, sie kniend dort zu finden, so wie Kate sie gefunden hatte.
Er sprang hinunter in die Mulde. Das Licht der Taschenlampe zeigte ihm jede Unebenheit und jede Einbuchtung im Sand, aber er konnte keine Fußspuren entdecken, nur die Einschläge des Regens.
Er ging in die Hocke und richtete, gegen den Wind geschützt, die Taschenlampe auf die Sandwand, ließ den Lichtstrahl über die verschiedenen Schichten gleiten. Sie war jetzt glatt, naß, fest. Er konnte keine Spur von irgendwelchen Überresten sehen. Keine Knochen. Keine Hand, die aus dem Sand gestreckt war, die gebrochenen Finger flehend winkend. Er spürte, wie wieder ein unkontrollierbarer Schauder seinen Körper erschütterte. Er stand auf und leuchtete umher. Wo war sie? Wo in Gottes Namen war sie?
Dieses verfluchte Grab. Wenn sie es nicht gefunden hätte, wäre nichts passiert. Er trat voller Wut gegen den Sand und sah mit einem starken Gefühl der Freude, daß ein großes Stück der Sandwand wegbrach und herunterfiel. Er trat erneut zu. Es würde nur ein paar Minuten dauern. Der Sand war so weich. Man würde glauben, es sei das Meer gewesen. Hinter ihm schleuderte sich die Flut immer näher über den Strand heran. Mit knirschenden Zähnen zog er den Fuß zurück, um diesmal gegen den Fuß der Sandklippe zu treten, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Er wirbelte herum, die Taschenlampe vor sich ausgestreckt wie eine Waffe.
»Allie!« Seine Stimme kam wie ein Krächzen aus seinem Mund. »Allie?« Er versuchte es noch einmal. »Wo bist du?«
Er hatte seinen Plan, die Düne zu zerstören, vergessen und kletterte, rutschend und stolpernd, zurück in den Wind. Der Strahl der Taschenlampe wurde allmählich schwächer. Er schüttelte sie wütend und schlug sie gegen seine Handfläche. Seine Hände waren eiskalt und naß, seine Finger wurden langsam taub.
Die Dunkelheit war leer. Sie konnte sonstwo sein. Hilflos drehte er sich langsam um, starrte in die zerreißende Dunkelheit, spürte, wie die eiskalten Finger des Schneeregens in seinem Kragen hinunterrutschten. Er kämpfte gegen den prügelnden Wind an, hörte sein Dröhnen in den Ohren.
Sie konnte wieder beim Cottage sein. Seine Hand umfaßte die Taschenlampe fester. Angenommen, sie war dort? Sie mochte Kate. Sie schien ihr zu vertrauen. Bestimmt war es das, was sie getan hatte. Er drehte sich um und ging den Weg zurück, den er gekommen war, mit dem Rücken zum Meer.
In diesem Moment glaubte er, am äußersten Rand seines Lichtstrahls eine Gestalt zu sehen.
Es war ein Mann.
Als die Gestalt zurückwich, brachte Gregs schwacher Lichtstrahl etwas zum Blinken, das aussah wie eine Messerklinge, bevor der Mann in der Dunkelheit verschwand.
XXXVIII
»Bill?« Kates Flüstern klang seltsam laut in der Stille des Zimmers. »Bill, schläfst du?« Er lag auf der Seite, unter der Decke zusammengekauert, in die sie ihn eingewickelt hatte, den Kopf auf dem Kissen, das sie aus ihrem Bett heruntergebracht hatte. Eine der Platzwunden an seiner Schläfe hatte sich wieder geöffnet, und sie sah, wie das schwarze Blut, das durch den Verband drang, langsam auf den geblümten Kissenbezug tröpfelte und den ineinandergeschlungenen Korn- und Mohnblumen eine ekelerregende Verzierung hinzufügte, die im Licht der Lampe ölig glänzte. »Bill?« Sie kniete an seiner Seite nieder. Sein Schlaf machte ihr Angst. Er war zu tief und zu plötzlich, und sie wußte nicht, was sie tun sollte.
Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Es war sieben Uhr. Zwei Stunden, seit sie die Redall-Farm verlassen hatten, vielleicht eineinhalb Stunden, seit sie zum Cottage gekommen waren. Wo blieb Greg? Sie starrte hoch zu den Vorhängen vor dem Fenster und horchte angestrengt. Das Cottage war erfüllt von den Geräuschen des Windes und des Meers. Die Wände schienen unter ihrem gemeinsamen Angriff zu vibrieren. Wie in Tropfen wirbelte der Luftzug über den Boden, bewegte die Vorhänge, ließ die Flammen im Ofen auflodern, trieb sein Spiel mit den Fransen eines der Kissen auf dem Sessel.
Sie nahm Bills Hand, streichelte sie zärtlich, entsetzt über die eisige Kälte. Sie legte die Finger um sein Handgelenk und fühlte seinen Puls. Sie glaubte, etwas spüren zu können, aber er war furchtbar schwach,
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