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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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war größer, schlanker, und sie trug irgendeine Art wehendes, langes Gewand einen Rock. Trotz des Wetters. Kate blieb fast die Luft weg, sie atmete nur noch stoßweise. War das die Frau, die Bill bei Allie gesehen hatte œ die Frau, die zugesehen hatte, wie Allie ihn angriff, und die keinen Finger gerührt hatte, um ihm zu helfen?
    »Claudia?«
    Es war nur geflüstert. Bitte, lieber Gott, laß das nicht passieren. Laß sie nicht wirklich da sein. Kate trat ein paar Schritte zurück.
    Die Frau schien ihr zu folgen. Kate suchte mit den Fingern die Taschenlampe ab, bis ihr Daumen den Schalter gefunden hatte, dann zog sie sie aus der Tasche. Mit einer schnellen Bewegung schob sie den Schalter vor und hob die Lampe, um der Frau direkt ins Gesicht zu leuchten. Sie reagierte nicht. Der Lichtstrahl ging durch sie durch. Kate konnte hinter ihr die wehenden Gräser und den hochgewirbelten Sand sehen, als sei die Gestalt aus Glas.
    »Hilfe!« Die Stimme klang, als sei sie weit weg, vom Wind fast ausgelöscht. »Warum hilft mir keiner! Kate!«
    Kate ging rückwärts, den Blick weiter auf die Frau gerichtet. Die Frau schien ihr zu folgen. Ihr Gesicht war deutlich zu sehen. Es war ein ziemlich junges Gesicht, bleich im Licht der Taschenlampe, mit hohen Backenknochen, das gelöste Haar peitschte im Wind. Obwohl sie durchsichtig waren, konnte sie die Farben deutlich sehen. Das helle Blau des Gewands mit den Flecken auf der Brust, die Röte ihres Haares, der seltsam goldene Lidschatten über den tiefliegenden Augen.
    »Was ist? Was willst du?« Kates Stimme zitterte. Sie war sich lebhaft der Schreie hinter sich bewußt, aber sie wagte nicht, der Gestalt den Rücken zuzukehren. Sie schien sie in keiner Weise zu bedrohen, aber ihr Schrecken war so groß, daß sie zu nichts anderem fähig war, als rückwärts langsam von ihr wegzugehen.
    Die Gestalt streckte ihre Hände aus, aber gleichzeitig verschwand sie allmählich. Der Hintergrund wurde stärker. Kate bemerkte plötzlich, daß der Strahl ihrer Taschenlampe immer schwächer wurde. »O nein. Bitte geh nicht aus.« Sie schaltete die Lampe aus und dann wieder an, hielt sie weiter verzweifelt auf den Platz gerichtet, wo die Gestalt gewesen war. Aber die Frau war verschwunden. Kate leuchtete nach oben und unten und sah, wie der Lichtstrahl in ihren zitternden Händen ermattete. Es war nichts mehr da. Nichts außer der Gewalttätigkeit der Nacht. Sie drehte sich schnell um und begann, zu der Stelle zu laufen, von der die Stimme gekommen zu sein schien. Der Lichtstrahl schwang auf und ab, während sie rannte. Dann sah sie ihn. Greg. Er hockte am Rande des Sandes, fast im Wasser.
    »Greg. O Greg, Gott sei Dank!« Sie ließ sich neben ihm auf den Boden fallen, warf ihn fast nach hinten in den Sand. Tränen strömten ihr über das Gesicht. »Greg. Greg.« Sie konnte nichts weiter tun, als nur immer und immer wieder seinen Namen wiederholen, während sie sich an seine Jacke klammerte.
    Er legte den Arm um sie und zog sie zu sich heran. »Schon gut, Kate. Schon gut. Ganz ruhig.«
    »Ich habe sie gesehen. Ich habe den Geist gesehen. Claudia. Sie stand am Grab. Und da ist auch eine Leiche, Greg. Eine Leiche.« Schluchzend drückte sie ihr Gesicht in seinen Ärmel. Seine Jacke war naß und kalt, und sie konnte spüren, wie er darunter zitterte. »Greg. Bill ist tot.« Sie hatte die Worte durch den grünen, gewachsten Stoff gemurmelt, aber er verstand sie deutlich genug.
    »O mein Gott.« Er drückte sie enger an sich. »Hör mir zu, Kate. Du mußt mir helfen. Auch wenn dir das vielleicht komisch vorkommt, ich sitze hier nicht zum Spaß mit den Füßen im Wasser. Irgendwas ist mit meinem Knöchel los. Ich bin irgendwo hängengeblieben. Jedesmal, wenn ich versuche, mich vorzubeugen, um freizukommen, wird mir ganz eigentümlich im Kopf.«
    Er mußte schon lange so gelegen haben. Er hatte, am Rande des Bewußtseins treibend, zugesehen, wie die Flut immer höher stieg. Er war nicht paralysiert wie Alison, und auch nicht benommen wie Bill, aber er wußte, als er sich zurücklegte und aufhörte, gegen die Kälte anzukämpfen, die an seinem Körper hochkroch, daß er sehr bald das Bewußtsein verlieren würde. Dann hatte er eine Sekunde lang hinter sich in den Dünen das wild blinkende Licht von Kates Taschenlampe gesehen. Dieser Anblick hatte ihm jenen Schuß Hoffnung gegeben, der ihm wieder das Adrenalin durch die Adern trieb.
    Kate beugte sich vor. Sie hielt die Lampe nah an seinen Knöchel. »Es ist

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