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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Der Haken.«
    »Gefunden.« Endlich spürte sie das Messer zwischen ihren Fingern. Sie holte es aus seiner Tasche, griff nach dem Reißverschluß und zog ihn wieder zu. »Du sollst schließlich nicht erfrieren.« Sie schüttelte den Kopf, als sich die nächste Flut aus kalter Gischt über sie ergoß. Eigentlich hätte die Flut seit einer halben Stunde zurückgehen müssen, aber niemand schien es dem Meer gesagt zu haben. Sie sah ihm ins Gesicht. »Ich versuche, dir nicht wehzutun.«
    Er zwang sich zu einem Grinsen. »Hör mal, wenn ich umkippe, dann mach einfach weiter. Schneid die Schnur durch, mach den Haken raus und stoppe die Blutung.« Er hielt inne, um zu Atem zu kommen, da packte ihn der nächste Schmerzanfall. »Aber versuch nicht, mich wegzuschleppen. Ich bin schwer.« Wieder ein mattes Grinsen. »Wenn ich zu mir komme, schaffe ich‘s schon. Dann kannst du Hilfe holen.«
    »Okay, Boß.« Sie legte ihre Hand für einen Moment auf seine und drückte sie. Dann hob sie die Taschenlampe auf.
    Was auch passierte, sie durfte das Messer nicht fallen lassen. Sie versuchte, die Klinge mit ihren kalten, nassen Fingern aufzuklappen, doch sie rutschten ab. Fluchend versuchte sie es noch einmal. Ihre Hände zitterten. Hinter ihr hatte sich Greg in den Sand zurückgelegt. Die Augen hatte er geschlossen. Kate blies sich einen Augenblick lang auf die Finger, um sie zu wärmen, öffnete den Reißverschluß an ihrer Jacke zur Hälfte und schob die Hand unter den gegenüberliegenden Arm, um die Finger an der Wolle des Pullovers zu trocknen und wieder Gefühl in ihnen zu bekommen. Als sie nach kurzem Warten erneut versuchte, die Klinge auszuklappen, öffnete sich das Messer. Mit einem Seufzer der Erleichterung kniete sie sich neben seine Füße. Sein freies Bein war unter dem Körper angewinkelt, das andere Bein ausgestreckt, der Fuß verdreht, das Blut hatte die Flut mittlerweile weggewaschen.
    Kate hielt die Taschenlampe nah an den Fuß. Ihre Hände zitterten, und plötzlich überkam sie ein Gefühl der Übelkeit. Es war klar, daß sie zuerst die verhedderte Angelschnur dort abschneiden mußte, wo sie sich um den Knöchel gewickelt hatte. Sie setzte die Messerklinge flach an seiner Socke an und versuchte vorsichtig, die Nylonschnur zu durchtrennen. Doch nichts geschah. Sie zog die Klinge fester zu sich heran. Greg stöhnte. Kate biß sich auf die Lippe. »Ich schneide sie erst einmal hier ab. Dann tue ich dir nicht so weh.« Sie tastete unter seinem Fuß im Tang herum. Die nächste Welle überschwemmte ihre Hände. Sie hielt verzweifelt das Messer fest und wartete, bis das Wasser wieder zurückwich. Wie hatte er sich nur derart darin verwickeln können? Es war, als ob jemand die Schnur immer und immer wieder um seinen Fuß geschlungen hätte, um ihn an etwas festzubinden, das im Strand vergraben war. Sie schaufelte mit den Händen den Sand weg, der mit Muscheln bedeckt war; dann kam der eiskalte, nasse Sand, und dann stießen ihre Finger auf etwas Hartes. Ein Holzbalken, tief eingegraben. Die Schnur schien von unterhalb des Balkens zu kommen. Sie drückte die Schnur mit der Klinge gegen den Balken und riß mit aller Wucht daran. Sie hatte die Schnur durchtrennt. Vorsichtig fühlte sie nach dem nächsten Stück. Diesmal war es leichter. Es ließ sich sofort durchschneiden, und das nächste ebenfalls. Aber die letzten, um seinen Fuß gewickelten Stränge waren extrem festgezogen. Das war wahrscheinlich passiert, als er versucht hatte, seinen Fuß freizubekommen. Sie wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und arbeitete beständig weiter, Strang um Strang, bis endlich auch das letzte Stück abfiel.
    Er stöhnte wieder, aber sie achtete nicht darauf. Sie leuchtete die Stelle um seinen Schuh ab. Der Angelhaken in seinem Fuß war der längste von mehreren, die in die Schnur geknotet waren. Gebogen und spitz lagen sie glitzernd im Licht der Lampe, alle bis auf den einen, der in der Seite seines Schuhs verschwand. Sie sah sich den Schlamassel genauer an. Dann drehte sie sich um und leuchtete einen Augenblick lang mit der Lampe in Gregs Gesicht. »Sollen wir versuchen, dich vom Meer wegzuschaffen, bevor ich weitermache? Die Schnur, die dich festgehalten hat, habe ich durchtrennt.«
    Er richtete sich auf, stützte sich auf die Ellbogen und nickte. »Ich bin bestimmt zu schwer für dich, Kate. Hilf mir einfach, wenn ich versuche, mich zu bewegen.« Er krümmte das unverletzte Bein, verkeilte die Ferse im nassen Sand und im Kies und

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