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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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eine Angelschnur. Ganz eng um deinen Fuß gewickelt. Der Haken ist durch deinen Schuh gegangen.«
    Sie spürte, wie sich ihr beim Anblick des Blutes, das rings um seinen Fuß in den Sand sickerte, der Magen zusammenzog. Die Schnur hatte sich in einem Berg von Unrat verheddert, der sich seinerseits in etwas verwickelt hatte, das aus dem Sand ragte. Sie zog daran, gab acht, seinen Fuß nicht zu berühren, aber die Schnur gab nicht nach und hielt ihn dort im Pfad der Flut fest.
    Greg stützte sich auf seinen Ellbogen. »Kriegst du‘s los? In einer meiner Taschen habe ich ein Messer. Innen, hier.« Er versuchte, den Reißverschluß nach unten zu ziehen, aber seine Hände waren kalt und schlüpfrig, und er konnte spüren, wie sich die nächste Welle von Übelkeit und Schwindel aufbaute.
    »Ich suche es.« Sie ließ von seinem Fuß ab und kam wieder näher an ihn heran. Die verknoteten Enden ihres Schals flatterten wild im Wind. Er konnte spüren, wie sie auf seine Wange trommelten, als sie sich neben ihn hinkniete, die Augen zusammengezogen. »Warte, ich muß erst meine Handschuhe ausziehen.« Sie gab ihm die Taschenlampe und begann, sich mit den Zähnen den Handschuh von den Fingern zu ziehen. Er schaltete die Taschenlampe aus, weil er sah, wie schwach die Batterie war. Plötzlich duckte er sich, denn eine Welle, die stärker als gewöhnlich war, raste den Strand herauf und überrollte sie fast. Sie waren beide mit eisiger Gischt bedeckt.
    Sie mühte sich, den Reißverschluß seiner Jacke herunterzuziehen. Der Wind schnitt ihm in den Körper, als er in die Jacke drang und eiskalt seine Haut traf. Ihre Hand folgte, und er spürte ihre Finger, die im Jackenfutter suchten. Er veränderte leicht seine Position, stützte sich auf den anderen Ellbogen und legte den freien Arm um ihre Schultern, um etwas von ihrer Wärme zu borgen. Aber seine Jacke war durch den Regen glatt und kalt geworden. Sie sah zu ihm auf, ihr Gesicht nur Zentimeter von dem seinen entfernt, und er sah, daß sie in der Dunkelheit grimmig lächelte. »Halt aus. Ich finde es schon. Du hast mehr Taschen als der billige Jakob.«
    »Such weiter. Ich wünschte, es ginge mir besser. Dann würde ich die Gelegenheit für einen massiven Annäherungsversuch nutzen!« Er grinste matt.
    »Bei dieser Kälte könnte es glatt sein, daß ich ihn erwidere.« Ihre Hände durchsuchten methodisch jede der tiefen Taschen an der Innenseite seiner Jacke. Die nächste Welle brach über sie herein, und sie hörte sich wegen der Kälte keuchen.
    Sein Arm um sie straffte sich. »Sie kommt näher.«
    »Die Flut muß fast ihren Höchststand erreicht haben. Die Welle geht bis über den Rand des Grabs.«
    »Der Wind kommt von Osten. Er schiebt sie höher als normal.« Er sah zum Himmel. »Gott sei Dank ist der Mond nicht ganz voll. Wir haben keine Springflut, sonst war‘s schon aus mit mir.«
    Der Schmerz, der von seinem Fuß ausging, traf ihn stoßweise. Er wanderte sein Bein hoch und ließ dann wieder nach, aber von seinem Knöchel abwärts war er gleichbleibend. Den Versuch, seinen Fuß zu bewegen, wagte er nicht. Der Schmerz, als er es doch einmal tat, hatte ihn ohnmächtig werden lassen. Er war wieder aufgewacht, weil eine Welle über sein Gesicht geschlagen war; halb erstickt war er wieder zu sich gekommen. Er wagte nicht, darüber nachzudenken, wie stark der Schmerz sein würde, wenn Kate ihn befreite. Falls es ihr gelang. Vielleicht würde er wieder ohnmächtig werden œ Gott hatte seine eigene Narkose.
    Er versuchte, sich auf ihre Hand zu konzentrieren, die in den Taschen seiner Jacke herumirrte. Völlig erschöpft war er noch nicht, denn sein Körper reagierte auf die suchenden Hände einer schönen Frau. Ihre Haare rochen nach dem Rauch und der Asche aus dem Holzofen, und ihr Leib, der eng an den seinen gedrückt war, hatte den Geruch von nasser Wolle, vermischt mit dem Parfüm, das sie am Morgen aufgetragen hatte œ was immer und wann immer das gewesen war -, und ihrem eigenen undefinierbaren Geruch, dem Geruch, den man unbewußt wahrnahm und der einen jeden Menschen, den man traf, mögen oder nicht mögen oder ihm auch völlig gleichgültig begegnen ließ. Ihren Geruch fand er, trotz des Ärgers, den sie ihm bereitet hatte, äußerst anziehend. Er lehnte sich ein bißchen zurück, versuchte, das Gewicht auf den Ellbogen zu verlagern, und zuckte zusammen, als die Bewegung sein Bein erschütterte.
    »Entschuldige. Habe ich dir wehgetan?« Sie hatte es bemerkt.
    »Du nicht.

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