Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
schob sich voran. Auf seiner Stirn brach der Schweiß aus. Er biß unnachgiebig die Zähne zusammen und wiederholte diese Bewegung. Qualvoll schob er sich so Zentimeter für Zentimeter weg vom Rand des Meeres. Die Schmerzen in seinem verletzten Fuß waren kaum auszuhalten. Er wußte, daß Kate hinter ihn getreten war, und er spürte ihre Hände unter seinen Achseln. Noch einmal ziehen, und er würde außer Reichweite der Wellen sein. Sie zog. Es war qualvoll. Er biß sich auf die Lippen, um nicht zu schreien, dann wurde alles schwarz.
»Greg! Greg? Bist du okay?« Kate ließ ihn sachte auf den Boden gleiten. »Greg?«
Seine Augen waren geschlossen. Sie starrte in die Dunkelheit und atmete tief durch. Sie wußte, was sie zu tun hatte: den Haken herausholen, jetzt, solange er bewußtlos war. Sie verkeilte die Lampe so im Kies, daß das immer schwächer werdende Licht auf seinen Fuß fiel, und suchte in ihrer Tasche nach dem Messer. Die Schuhbänder ließen sich glücklicherweise leicht lösen, und das Material des Schuhs war ebenfalls nicht sehr widerstandsfähig. Sie schnitt sorgfältig um den Haken herum, und es gelang ihr, den Schuh zu entfernen und den verbogenen Fuß geradezurichten. Er war geschwollen und hatte sich verfärbt. Sie fragte sich, ob er gebrochen war. Sie schluckte die Welle der Übelkeit hinunter, die sie zu überwältigen drohte. Behutsam nahm sie den übrigen Teil des Schuhs ab und starrte auf den Haken. Er war ganz durch seinen Fuß gedrungen. Sie mußte ihn so herauszuziehen, wie er eingedrungen war. Die grausame Spitze am Ende des Hakens stand zur Hälfte an der Oberseite seines Fußes heraus, verkeilt zwischen zwei Sehnen. »O Gott.« Einen Moment lang überlegte sie, was zu tun war. Sie hatte keine Wahl. Sie schnitt das verbleibende Stück Schnur durch, an das der Haken geknotet war.
Was für Dreckskerle ließen solch ein gefährliches Zeug am Strand liegen, das alles und jeden einfing, der nach ihnen hier entlangkam? Sie dachte an die Möwe, ertrunken und kalt, die Füße mit Nylongeflecht zusammengeschnürt. Voller Zorn mühte sie sich weiter. Sie mußte mit allem fertig sein und seinen Fuß irgendwie bandagiert haben, bevor er zu sich kam und bevor œ sie warf einen Blick auf die Taschenlampe œ die Batterie vollkommen leer war. Sie zog den Haken durch das eiskalte Fleisch œ er ruschte überraschend leicht durch den Fuß. Dahinter quoll frisches, dunkles Blut hervor. Sie nahm ihren Schal und kramte dann in ihrer Tasche nach dem Päckchen mit Papiertaschentüchern, das sie vor Tagen eingesteckt hatte. Sie waren noch da. Sie holte mehrere davon aus dem Zellophan, faltete sie sorgfältig zu zwei kleinen Kissen œ eines für die Eingangs-, das andere für die Ausgangswunde œ und band sie mit dem Schal am Fuß fest. Sie wand die Enden des Schals einige Male um seinen Knöchel und zog sie so fest wie möglich zusammen, sie mehrfach verknotend. Als sie den letzten Knoten machte, ging die Taschenlampe aus. Sie ließ sich auf den Strand fallen, schlang die Arme um ihre Beine, legte erschöpft den Kopf auf ihre Knie, und blieb einen Moment lang so sitzen. Sie zitterte derart, daß sie sich nicht bewegen konnte, aber Gregs Stöhnen brachte sie wieder auf die Füße. Sie kniete sich neben ihn und ergriff seine Hand. »Alles erledigt. Der Haken ist raus, und ich habe deinen Fuß wieder gerade gerichtet.«
»Fühlt sich höllisch an.« Er versuchte, sich aufzusetzen, aber es gelang ihm nicht. Er schloß die Augen und konzentrierte sich mit aller Kraft darauf, nicht wieder ohnmächtig zu werden. »Und was jetzt?«
Kate schüttelte müde den Kopf. »Ich nehme an, ich sollte versuchen, Hilfe zu holen. Ich glaube nicht, daß wir es bis ins Haus schaffen.« Sie warf einen Blick auf die stürmische Schwärze des Meeres hinter ihnen.
Seine Hand zog sich um die ihre zusammen. »Der Gedanke, daß du allein da draußen herumläufst, gefällt mir nicht. Warum wartest du nicht, bis ich ein bißchen zu Kräften gekommen bin? Vielleicht kann ich dann gehen.«
Kate lächelte traurig. »Aussichtslos. Du hast dich ganz furchtbar verletzt.«
Greg schwieg einen Moment lang. »Wenn du etwas finden würdest, auf das ich mich stützen kann. Vielleicht ein Stück Treibholz. Am Strand liegt jede Menge Zeug herum. Wenn wir ganz langsam gehen, komme ich schon bis zum Cottage.«
Das Wort Cottage löste in ihrer beider Gedanken etwas aus. Kate sackte neben ihm zusammen, und Tränen schössen ihr in die Augen. »Bill ist
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