Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
Schafott.
»Hör auf damit, Paddy!« Dianas Stimme war schrill.
Er starrte sie an und sah dann hinunter auf seine Hand, als ob er nicht wüßte, daß sie ihm gehörte. »Entschuldige.«
»Sie müßten längst zurück sein.« Sie klapperte mit ihren Töpfen und Pfannen. »Sie müßten sie längst gefunden haben.«
»Es ist ziemlich stürmisch da draußen, Ma. Vielleicht sind sie mit dem Land Rover steckengeblieben. Oder vielleicht sind sie lieber im Cottage geblieben.«
»Oder vielleicht haben sie sie nicht gefunden.« Diana drehte sich um und sah ihren Mann an, der gerade in die Küche kam. »Geht das Telefon wieder?«
Er schüttelte den Kopf. In sein Gesicht hatte sich eine unendliche Mattigkeit eingegraben, und sie sah, wie seine Hand verstohlen unter die Jacke ging und an die Brust faßte. »Roger, Liebling. Komm, setz dich.« Sie lief zu ihm hm und umarmte ihn. »Komm schon. Ruh dich aus. Du strengst dich zu sehr an.«
»Ich sollte bei ihnen da draußen sein und mitsuchen.« Er schüttelte verärgert den Kopf, aber er ließ es geschehen, daß sie ihn in Richtung Feuer steuerte.
»Ich gehe.« Patrick folgte ihnen. »Ich nehme das Rad und sehe, wo sie bleiben.«
»Nein.« Diana schüttelte streng den Kopf. »Nein, Paddy. Du bleibst hier bei uns.«
»Laß ihn gehen, Di.« Roger ließ sich in einen Sessel fallen und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. »Er kann zum Cottage fahren und nachsehen, ob sie da sind.«
»Nein!« Es war ein lautes Wehklagen. »Nein. Ich will, daß er hierbleibt. Ich will nicht, daß sich auch noch das letzte meiner Kinder verläuft.« Diana setzte sich unvermittelt. Sie blinzelte und konnte gerade noch die Tränen zurückhalten.
»Ich verlaufe mich schon nicht, Ma. Ich kenne den Weg wie meine Westentasche.« Patrick legte ihr die Hand auf die Schulter.
Ihre Finger suchten die seinen und hielten sie fest. »Aber der Sturm…«
»Wenn was passiert ist œ ich meine, wenn sie eine Panne mit dem Land Rover hatten, oder wenn der Weg blockiert ist oder sowas, dann haben sie keine Möglichkeit, es uns wissen zu lassen. Jetzt, wo die Leitungen unterbrochen sind. Mit dem Rad kann ich in einer halben Stunde zurück sein, und dann braucht ihr euch keine Sorgen mehr zu machen.«
»Er hat recht, Di.« Roger ließ die Augen geschlossen. »Laß ihn fahren.«
Ihre Hand glitt hilflos aus der ihres Sohnes. Er drückte ihr die Schulter und ging zur Tür.
»Geh kein Risiko ein, Paddy.« Roger machte die Augen auf. »Nicht das geringste. Wenn du irgendwas siehst, mit dem du nicht fertig wirst, kommst du sofort zurück, ist das klar?«
»Klar, Dad.«
»Spiel nicht den Helden.«
Patrick grinste. »Zum Supermann eigne ich mich sowieso nicht, Dad. Und was soll ich schon finden? Schlamm. Bäume. Schnee. Also nur Mut. Ich bin bald zurück.« Er ging hinaus in die Diele und kam mit seiner Öljacke wieder, die er überstreifte. »Haben wir eine anständige Taschenlampe?«
»Ich hol‘ sie.« Diana ging zurück in die Küche. Sie kramte in einer Schublade herum.
Patrick folgte ihr. »Laß Dad nicht rausgehen«, flüsterte er. »Er sieht schrecklich blaß aus.«
»Keine Sorge.« Als sie die Taschenlampe fand, machte sie sie an, um zu sehen, ob sie leuchtete. »Wenigstens sind Batterien drin. Paddy, ich weiß, daß es albern ist, aber in diesem Cottage gehen seltsame Dinge vor. Du paßt doch auf dich auf, mein Schatz, nicht wahr?«
Patrick nickte. »Versprochen.« Er küßte sie auf die Wange und stopfte die Lampe in seine Tasche. Ein paar Minuten später war er draußen im Schneeregen.
Die Kälte raubte ihm den Atem. Das Eis im Wind fühlte sich an, als schneide es ihm ins Gesicht. Er streifte seine Handschuhe über, ging zur Scheune und zog das schwere Tor zurück, um sein Rad herausschieben zu können.
Der schmale Strahl seiner Fahrradlampe erleuchtete zuerst die sich über den Weg wölbenden Bäume, als das Rad über die Schlaglöcher rutschte, und dann den morastigen Weg selbst, wo die letzten Reifenabdrücke noch deutlich zu sehen und von der Nässe noch nicht verwischt waren. Patrick brauchte all seine Konzentration, um auf dem Fahrrad zu bleiben und nicht im Gebüsch zu landen. Er kniff die Augen zusammen, um sie vor dem Wetter zu schützen, suchte die am wenigsten gefährliche Route und spähte in die Ferne. Jetzt, da er allein hier draußen war, fühlte er sich nicht mehr annähernd so mutig. Seine Gedanken kehrten immer wieder zu Alison zurück, zu ihren verrückten Augen, und
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