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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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sah ihn an. »Du hast die Orientierung verloren und bist wieder zurück zum Meer gekrochen. Also komm. Versuch, auf dem gesunden Bein zu stehen. Ich traue mich nicht, mit dem Auto näher an das Wasser ranzufahren. Du mußt auf dem einen Bein hüpfen.«
    »Ich kann nicht.« Stöhnend ließ er sich zurück auf den nassen Sand fallen. »Ich bin fertig. Ich kann mich nicht mehr bewegen.«
    »Du kannst. Du mußt.« Sie biß die Zähne zusammen. »Komm schon. Du darfst jetzt nicht aufgeben.« Sie zog ihn am Arm. »Ich suche was, wo du dich aufstützen kannst. Du mußt es versuchen, Greg.« Sie war am Rande der Verzweiflung.
    »Okay, okay.« Er versuchte, den Kopf zu schütteln. Gischt und Schneeregen fühlten sich in seinem Gesicht kalt an; Tränen und Schweiß heiß. Die Salzmischung lief ihm in die Augen, und er konnte nichts mehr sehen. Dennoch nahm er hinter ihr eine Gestalt wahr. Warum half sie nicht? Es war eine Frau. Aber nicht Allie. Nicht Ma. »Helfen Sie uns. Bitte.« Seine Worte waren undeutlich. Er spürte Kates Arm unter dem seinen; dann ihre Schulter, als er sich hochhievte. Die andere Frau half mit, nein, sie war verschwunden. Wo war sie? Er fühlte, wie seine Knie einknickten. Er konnte mit dem rechten Fuß nicht auftreten. Das Tosen der Wellen füllte seinen Kopf; verschwommen konnte er die Umrisse des Land Rover sehen. Die hintere Tür war offen. Im Innern war Sicherheit, Wärme, dort konnte er sich ausruhen. Mit einer übermenschlichen Anstrengung katapultierte er sich in drei Hopsern auf seinem gesunden Bein darauf zu, warf sich halb zur Tür hinein. Dann verlor er wieder das Bewußtsein.
    »Greg! Greg!« Kate beugte sich über ihn. »Komm schon, gleich hast du‘s geschafft.« Das Auto war ihr sicherer Hafen. Sie wollte, daß sie beide drin waren, hinter verschlossenen Türen. Der Strand hinter ihnen war feindselig und bedrohlich.
    Sie warf einen Blick über ihre Schulter und sah den Schatten; eine Frau schlich nicht weit von ihnen herum, als schwebe sie. Sie bekam eine Gänsehaut. Das blaue Kleid war immer noch blutbefleckt; es wehte nicht im Wind; der Schneeregen schien dem Haar der Frau nichts anhaben zu können, aber sie beobachtete sie, und Kate konnte riechen, wie sie duftete. Trotz des Windes und des Schneeregens und des Salzgeruchs der See konnte sie dieses blumige Parfüm riechen. Ihr wurde übel. Ihr Entsetzen war so groß, daß sie sich für einen Moment nicht bewegen konnte. Erst ein Stöhnen von Greg holte sie mit einem Ruck zurück aus der Faszination des Schreckens. Sie drehte sich um.
    »Steig ein, Greg. Steig schnell ein«, drängte sie ihn. »Kriech einfach. Schnell.«
    Etwas von ihrer Panik drang durch den schwarzen Schleier bis zu ihm. Seine Hände tasteten auf dem Sitz vor ihm herum; irgendwie zog er sich an ihm entlang, lag keuchend darauf und verkrallte sich in das Material, um Halt zu finden. Kate faßte ihn um die Hüften und schob ihn mit aller Macht vorwärts. Ohne Rücksicht auf seinen verletzten Fuß packte sie seine Knie, preßte sie zusammen und schlug die Tür zu.
    Sie drehte sich schnell um und starrte hinaus in die Nacht, als das nächste Schneegestöber über den Strand herein wirbelte. Wo war die Frau? Es war nichts mehr zu sehen. Verzweifelt wandte sie sich um und floh. Sie rannte um das Auto herum, kämpfte mit dem Griff der Fahrertür, zog sie schließlich auf und warf sich auf den Sitz, um dann die Tür hinter sich zuzuschlagen und das Schloß zuzuknallen. Mit einem erleichterten Schrei ließ sie sich zurückfallen und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
    Die weiße Gestalt, die sich rasend schnell auf die Kühlerhaube warf, war so dicht vor ihr, daß sie laut aufschrie. Sie sah ein riesiges, blutunterlaufenes Auge. Etwas knallte gegen die Windschutzscheibe, und sie sah, wie ein splitteriger Riß zitternd über das Glas lief. »Nein!« Sie drückte sich so eng sie konnte an die Lehne ihres Sitzes und hob instinktiv den Arm, um das Gesicht zu schützen. »Nein! Bitte nicht! Greg!«
    Greg regte sich. Er fand sich mit dem Gesicht nach unten auf der groben Decke liegend, die über den Rücksitz gebreitet war. Wie in einem Krampf umklammerte er sie und spürte, wie ein quälender Schmerz sein linkes Bein hochschoß, das, in der Mitte gefaltet, neben ihm auf dem Boden zu sein schien. »Kate?« Seine Stimme war undeutlich, gedämpft durch die Decke. »Kate, wo bist du?«
    »Hier!« Ihr Flüstern erreichte ihn kaum. »Greg. Hilfe! Schau!« Die Angst in ihrer Stimme

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