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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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ausgebreitet. Das Schwert ragte noch aus ihrem Körper, und im Licht der auf geh enden Sonne sah ihr Haar wie ein kastanienbrauner Spritzer aus. Dann begann sie langsam und kaum wahrnehmbar zu versinken.
    Die Hände in den Hüften sah er zu; ein höhnisches Lächeln spielte um seine Lippen. Rache; süße, wohltuende Rache. Und niemand würde es je erfahren. Langsam zogen sich die Wolken zurück, der Himmel wurde blau. Es würde ein schöner Tag werden. Er legte die Hand an den Gürtel und tastete nach dem Dolch, den er dort trug, neben der leeren Scheide, in der sein Schwert gesteckt hatte. Erfaßte nach dem Griff und streichelte ihn einen Moment lang, dann zog er den Dolch heraus, spürte das Gewicht und die schöne Form einer geliebten und vertrauten Waffe.
    Nun wandte er sich den Priestern zu.
    »Wirst du heute zusammen mit Alison an euren Referaten weiterarbeiten, Sue?« Cissy Farnborough blickte auf den Kopf ihrer Tochter. Viel konnte sie nicht davon sehen, denn das Mädchen saß am Tisch und hatte das Gesicht in ein dickes Taschenbuch vergraben.
    Man liest nicht bei Tisch, wollte sie sagen, aber wie konnte sie, wo doch Joe auf der anderen Seite der Cornflakes-Packung saß und sich genauso tief in den Sunday Telegraph vergrub. Sie seufzte. »Sue!« versuchte sie es noch einmal, jetzt lauter und ärgerlicher. »Hast du gehört, was ich dich gefragt habe?«
    Sue hob den Kopf. Ihr unfrisiertes Haar stand ihr vom Kopf wie ein unordentlicher Heiligenschein; ihr Nachthemd, geschmückt mit einem besonders häßlichen Bild irgendeines stark behaarten Popstars in Nahaufnahme, war verknittert und ausgesprochen schmuddelig.
    »Ich weiß nicht, was sie vorhat. Sie war letzte Woche nicht in der Schule. Ich rufe sie später an«, sagte sie unfreundlich.
    »Mach das bitte. Ich würde gern wissen, wie viele wir zum Mittagessen sind.«
    »Du machst sowieso immer zuviel«, meinte Sue schroff und vergrub sich wieder in ihr Buch.
    Cissy seufzte. Sie stellte den Wasserkocher an und griff nach der Kaffeedose. Wie immer hatte Joe darauf bestanden, sich so lange mit Gekochtem vollzustopfen, bis er kurz vor dem Platzen oder dem Tod durch eine Überdosis Cholesterin nahe war. Schaudernd warf sie einen Blick auf die fettige Bratpfanne. Er erlaubte ihr nicht einmal, seinen Speck zu grillen. »Ich verdiene mein Geld durch harte Arbeit, Frau«, hatte er sie angebrummt, als sie ihm eine leichte Änderung seiner Ernährungsweise vorschlug. »Was weiß so ein Muttersöhnchen von Doktor schon vom Leben auf dem Land. Diese Ärzte schreiben für Stadtleute; für Schreibtischhengste. Männer, die tagaus, tagein den Hintern nicht richtig hochkriegen. Die sollten‘s mal mit richtiger Arbeit versuchen. Dann ging‘s ihnen gleich besser!« Sie hatte es aufgegeben. Es war das alte Thema. Eine Mischung aus bäuerlicher Arroganz und Groll gegen ihren Vater, der vor seiner Pensionierung Buchhalter in London gewesen war. Schweigend dachte sie, daß sie eben den falschen Mann geheiratet hatte. Er war einfach unter ihrem Niveau; auch ihre Eltern waren davon überzeugt. Und unglücklicherweise hatten sie aus ihrer Meinung kein Geheimnis gemacht. Sie hatte Joe verteidigt, hatte mit ihm geschlafen und ihn schließlich geheiratet, aber natürlich hatten ihre Eltern recht gehabt. Er hatte eine zweitklassige Privatschule in Suffolk besucht, war aber keineswegs das, was sie als gebildet bezeichnet hätte. Einzig und allein an der Farm interessiert, las er nie etwas anderes als die Sonntagszeitungen, und er verachtete Bildung bei anderen œ besonders bei seiner Frau.
    Bei Susie war das anders. Nichts war gut genug für sie, dennoch unterstützte er Cissy nie, wenn sie versuchte, Susie dazu zu bringen, ihre Hausaufgaben zu machen.
    »Laß das Mädchen in Ruhe«, sagte er jedesmal ungeduldig, wenn Cissy Susie aufforderte, endlich den Walkman oder den Fernseher auszumachen und sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. »Sie sieht gut aus. Sie findet schon einen Mann. Sie braucht diesen ganzen Mist nicht!«
    »Es ist keine Orangenmarmelade mehr da, Ciss!« Joe tauchte hinter seiner Zeitung auf und sah sie vorwurfsvoll an, den Deckel des Marmeladenglases in der Hand.
    »Verdammt!« Cissy formte das Wort lautlos mit ihren Lippen. Warum, warum nur mußte er sich immer beschweren? Warum fand er immer etwas, das sie vergessen hatte?
    »Nenn mich nicht Ciss«, gab sie unfreundlich zurück. Cecilia Louise. Das waren die Namen, die ihre Eltern ihr gegeben hatten. Aber Joe hatte

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