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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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sie noch nie im Leben Cecilia genannt. Zuerst hatte sie es lustig gefunden, Cissy genannt zu werden, aber der Witz hatte schnell an Reiz verloren. Jetzt trug er nur noch mehr zu ihrer Verstimmung bei.
    »Geh jetzt und ruf Alison an.« Wie immer richtete sich ihre Wut und Hilflosigkeit gegen ihre Tochter statt gegen den richtigen Adressaten. »Und zieh dich an. Du siehst aus wie eine Schlampe.«
    Zu ihrer Überraschung stand Sue sofort auf, und sie sah auch, wie Joe sie verstohlen anblickte. Vielleicht war ihr Ton schärfer gewesen, als ihr bewußt war.
    »Ich setze die Marmelade auf die Einkaufsliste«, sagte sie ruhig. »Du wirst warten müssen, bis ich wieder zum Einkaufen fahre. In der Speisekammer ist noch jede Menge anderer Marmelade.« Sie lächelte ihren Mann an. »Sogar ohne Zucker.« Sie sah, wie er sichtlich zusammenzuckte, aber zu ihrer Überraschung sagte er nichts. Lammfromm bestrich er seinen Toast besonders dick mit Butter und aß ihn so. Na schön, wenn das bei ihr ein schlechtes Gewissen erzeugen sollte, dann würde es nicht funktionieren. Was sollten fünfzig oder hundert Gramm Butter mehr schon ausmachen, nach der Unmenge von Fett, die er über die Jahre in seinen Körper geschaufelt hatte?
    Sie wandte sich ab und warf einen Blick aus dem Küchenfenster. Es war scheußlich draußen. Der Himmel war noch fast finster, obwohl es schon nach neun war. Der Ostwind warf die Obstbäume hinter dem Küchengarten fast um, und er trieb schnell schmelzende Flocken über das Gras. Sie zitterte. Es fiel immer noch Schneeregen. Vor dem Fenster stritt sich eine Schar kleiner Vögel an der Schale mit zerlaufenem Fett und Samenkernen, die sie ihnen hinausgestellt hatte. Das einzige, was sie an Joes Eßgewohnheiten mochte, war, daß sie aus dem vielen Fett, das sich auf den Essensresten bildete, Vogelpaste machen konnte. Mit dem Anflug eines Lächelns sah sie zu, wie sich zwei Rotkehlchen mit ein paar Spatzen zankten. Auf dem teilweise mit Schnee bedeckten Gras unter dem Vogelhaus stöberten etwa 50 kleine Vögel nach den Samenkernen, die sie dort verstreut hatte.
    »Mum! Ihr Telefon geht nicht«, rief Sue mißmutig und knallte den Hörer auf die Gabel. »Zum Teufel nochmal. Scheiße!«
    Joe hob den Kopf. »Susan, geh in dein Zimmer!« brüllte er.
    »Aber Dad. Allie hat meine Notizen. Ich muß mit ihr reden.«
    »Mir egal, was sie hat.« Endlich war etwas durch seine Lethargie gedrungen. »Kein Kind von mir sagt in meinem Haus solche Sachen.«
    Cissy trank schweigend ihren Kaffee. Sollten sie selber damit klarkommen. Was Sues Freundschaft mit Alison anging, so tat sie alles, um sie zu unterstützen. Die Lindseys waren eine angenehme Familie, Sie sprachen ein gepflegtes Englisch und hatten gute Manieren. Es war nicht ihre Schuld, daß sie kein Geld hatten. Der arme Roger war so krank, und trotzdem schaffte es Diana mit Stil und Würde, um die Cissy sie beneidete, ihren Haushalt zu führen.
    Sie blickte über den Frühstückstisch und wandte sich an Sue. »Ich fahre dich runter zur Redall-Farm, sobald ich das Mittagessen auf dem Herd habe«, sagte sie besänftigend. »Dann kannst du deine Notizen holen, und Allie kann mit zu uns kommen, wenn sie will. Eigentlich können sie alle mitkommen. Diese Woche habe ich einen riesigen Braten. Du hast recht, es gibt genug für alle, und es wäre nett, sie hier zu haben. Bei diesem Wetter kann sowieso niemand draußen arbeiten.«
    Sie lächelte ihren Mann und ihre Tochter an und war plötzlich gut gelaunt. Ihre Verstimmung war ebenso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren. Die Lindseys würden sie alle aufheitern.

XLVII
    Kate schreckte aus dem Schlaf. Sie starrte an die Decke und fragte sich, wo sie war. In ihrem Kopf drehte sich alles. Nichts an dem Zimmer kam ihr bekannt vor. Durch die zugezogenen, orangefarbenen Vorhänge fiel schwaches Licht.
    Sie blickte sich um, sah überfüllte Regale, einen unordentlichen Schreibtisch mit Computer, auf jedem freien Flecken Poster an der Wand. Sie blinzelte auf ihre Armbanduhr. Viertel nach neun. Nun bemerkte sie, daß sie unter dem Federbett noch angezogen war. Sie drehte sich zum Bettrand. Jeder Teil ihres Körpers tat ihr weh. Sie blieb für einen Moment still liegen und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Was war letzte Nacht passiert? Warum konnte sie sich an nichts mehr erinnern?
    Sie drehte ihr Gesicht zur Tür, als sie ein leises Klopfen hörte. Es war Patrick. Er grinste. »Tut mir leid, daß es hier so unaufgeräumt

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