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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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und Bandagen zu sortieren.
    Sie legte die Rasierklinge mehrere Minuten lang in kochendes Wasser, anschließend wusch sie sich die Hände mit Wasser und Seife, dann mit dem Desinfektionsmittel und wartete, bis die Klinge hinreichend abgekühlt war, um sie anzufassen. »Schau nicht hin.«
    Er grinste. »Wenn ich nicht hinschaue, stellt sich hinterher womöglich heraus, daß du mir den Fuß abgehackt hast.« Er knirschte mit den Zähnen, als sie die Klinge auf die geschwollene Haut legte. Sie schien fast keinen Druck auszuüben, da drang schon ein Brei aus gelbgrünem Eiter aus der Wunde. Er schluckte schwer, wandte, ohne es zu wollen, doch die Augen ab und zuckte vor Schmerz zusammen, als er den Druck ihrer Finger spürte, die den Rest des Eiters herausdrückten. Sie nahm mit einer Pinzette ein Stück Baumwolle und tupfte die Wunde immer wieder ab, dann war es endlich vorüber. Er fühlte den kühlen, sauberen Verband auf der brennenden Haut, und dann die Bandage.
    »Danke.« Er sprach durch seine zusammengebissenen Zähne, wobei ihm ganz schwindlig vor Schmerz war.
    Sie hatte es bemerkt. »Ruh dich ein wenig aus. Ich mache uns inzwischen eine Tasse Tee.« Sie sammelte die Tupfer ein und warf sie in den Abfalleimer, räumte alles auf und wischte den Tisch ab. Dann nahm sie den Kessel und war schon auf halbem Weg zum Spülbecken, als das Licht ausging.
    »Scheiße!« Greg sah sich um. »Es muß eine Sicherung sein.«
    »Beweg dich nicht.« Diana legte ihm die Hand auf die Schulter, als er aufstehen wollte. »Du wartest hier, und ich gehe und suche eine im Schrank.«
    Ohne das Licht war das Zimmer fast dunkel; graues, düsteres Tageslicht fiel vom Garten her durch die Fenster, wo es wieder angefangen hatte zu schneien œ dieses Mal waren es weiche weiße Flocken, die aus den dichten Wolken herunterwehten.
    Sie hörten einen lauten Knall im ersten Stock und sahen sich erschreckt an.
    »Allie!« rief Greg. »Sie ist aufgewacht.« Er blickte zu seinem Vater. Roger hatte sich nicht bewegt, der Kopf lag auf dem Arm.
    »Ich sehe nach.« Diana setzte den Kessel ab. Sie war entsetzt und beschämt, weil sie Angst hatte œ Angst davor, zu ihrer eigenen Tochter zu gehen.
    »Sei vorsichtig. Denk dran, daß sie nicht sie selbst ist«, sagte Greg leise.
    Sie starrte ihn zornig an. »Und wer, denkst du, ist sie?«
    »Ich weiß nicht. Niemand. Ich sage nur, sei vorsichtig. Sie hat viel durchgemacht und sie hatte fürchterliche Alpträume, und ich glaube, daß sie im Moment nicht die Hälfte von dem weiß, was sie tut.«
    Der nächste Knall folgte auf den ersten, und beide sahen nach oben. »Das kam aus Patricks Zimmer«, flüsterte Diana.
    »Nimm das Nudelholz mit«, murmelte Greg, als sie sich den Pfosten näherte, die das Wohnzimmer von der Küche trennten. »Zur Sicherheit.«
    »Um damit meine eigene Tochter zu schlagen?« Sie blieb stehen.
    »Wenn nötig, ja. Euch beiden zuliebe.« Er hievte sich auf die Beine. »Zum Teufel mit diesem Fuß, ich komme mit.«
    »Nein, Greg -«
    »Doch. Gib mir einen Gehstock aus der Diele. Es geht ganz gut, solange ich ihn nicht zu stark belaste.« Er starrte hoch zur Decke.
    Sie brachte ihm den Stock ohne weitere Einwände und ging dann voraus. Sie machte die Tür auf, die die dunkle Treppe verbarg. Sie sah nach oben und horchte. Greg war gleich hinter ihr. Schwer atmend versuchte er, mit dem Stock das Gleichgewicht zu halten.
    Mit angehaltenem Atem begannen sie, die Treppe hochzusteigen. Oben angelangt, spähten sie vorsichtig in den Flur. Er war leer. Die Tür zu Alisons Zimmer war geschlossen wie zuvor. Der Schlüssel war in ihrer Hosentasche. Sie hielt ihn fest. Mit einem Blick über die Schulter zu Greg schlich sie verstohlen zur Tür und horchte. Am Ende des Flurs stand die Tür zu Patricks Zimmer einen Spaltbreit auf.
    Sie biß sich auf die Lippen, als sie versuchte, geräuschlos vorwärts zu gehen, auf die Tür zu. Greg folgte ihr. Er spürte, wie ihm auf der Stirn der Schweiß ausbrach, als er sich zwang, leise hinter ihr herzugehen. Ohne Licht war der rückwärtige Teil des Flurs fast dunkel; die schwarzen Balken warfen keilförmige Schatten über das zarte Rosa der Decke. Die Vorhänge, obwohl offen, hielten doch alles Licht ab, das vom bewölkten Himmel hereinfallen mochte. Im Garten war alles völlig still. Sogar das Geräusch des Windes war erstorben. Diana umfaßte den Griff des Nudelholzes fester und wurde langsamer, je näher sie der Tür kam. Sie zögerte hineinzugehen.
    Greg, der

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