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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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hinter ihr stand, spürte, wie er im Nacken eine Gänsehaut bekam. Er streckte die Hand aus und packte seine Mutter am Arm. »Laß mich«, flüsterte er.
    Sie widersprach nicht. Sie drückte sich an die Wand, um ihn vorbeizulassen und beobachtete, wie er langsam mit dem Ende seines Stocks Patricks Tür aufschob. Als sie über seine Schulter spähte, konnte sie zuerst nichts sehen, dann machten ihre Augen langsam das dunkle Innere des Zimmers aus. »Himmel, schau dir die Bücher an«, sagte Greg laut. Er schob die Tür ganz gegen die Wand und tat einen Schritt in das Zimmer. Der Inhalt aller Bücherregale war in die Mitte des Fußbodens geworfen worden. Es war niemand da.
    »Hat Allie das gemacht? Warum? Und wie ist sie rausgekommen?« flüsterte Diana. Das Zimmer roch leicht nach Moschus.
    Greg zuckte mit den Schultern. Er stocherte mit seinem Stock unter dem Bett herum und ächzte vor Schmerz, als er sein Gewicht auf den verletzten Fuß verlagerte. Dann öffnete er die Schranktür. Nirgendwo sonst im Zimmer konnte sich jemand verstecken. Diana schob sich an ihm vorbei und zog die Vorhänge auf, um etwas mehr Licht hereinzulassen. Zum Vorschein kam nichts außer dem Durcheinander aus Büchern in der Mitte des Teppichs.
    »Einige davon sind zerrissen«, sagte sie traurig, als sie dastand und das Chaos betrachtete. »Er wird ganz schön geknickt sein.«
    »Wo ist sie?« Greg drehte sich um und hüpfte zurück auf den Flur. Eine nach der anderen warf er die übrigen Türen auf œ zu seinem eigenen Zimmer, zum Schlafzimmer seiner Eltern, zum Badezimmer. Alle waren leer. Blieb nur noch Alisons Zimmer. »Sie muß wieder da drin sein.« Er sah seine Mutter an. »Soll ich nachsehen?«
    Sie nickte traurig. Er legte die Hand auf den Türgriff und drehte ihn. »Abgeschlossen«, sagte er mit einem Flüstern.
    »Ich habe den Schlüssel.« Sie legte ihn in seine Hand. Mit einem leichten Zögern steckte er ihn ins Schloß und drehte ihn um, so leise er konnte.
    Auch Alisons Zimmer war dunkel. Die Vorhänge waren zugezogen, und das Licht auf ihrem Nachttisch, das angeschaltet gewesen war, war jetzt aus, wie alle anderen. Greg stand in der Tür und spähte in die Dunkelheit; versuchte, etwas zu sehen. Wenn sie doch eine Taschenlampe hätten, die funktionierte. Seine Ohren, die angestrengt in die Stille horchten, hörten nur ein Atemgeräusch. Es war langsam und gleichmäßig und kam vom Bett. Er griff in seine Tasche und zog eine Schachtel Streichhölzer hervor, gab seiner Mutter, die unmittelbar hinter ihm stand, den Stock, zündete ein Streichholz an und hielt es hoch. Das Licht erhellte kaum das Zimmer, aber es genügte, um im Bett die gekrümmte Gestalt seiner Schwester zu sehen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht machte er einen schlurfenden Schritt nach vorn und hielt es nahe an ihr Gesicht. Einen kurzen Moment lang sah er ihre geschlossenen Augen, die dunklen Kratzer auf ihrer Wange, ihre Faust, die unter ihrem Kinn die Decke umklammerte.
    Mit angehaltenem Atem wartete er. Fast rechnete er damit, daß sie mit einem Schrei aus dem Bett springen würde, aber nichts geschah. Die Stille füllte das Zimmer. Alles, was er hören konnte, war ihr langsames, schweres Atmen, und hinter ihm das seiner Mutter, schneller, leichter, voller Angst. Er holte ein zweites Streichholz aus der Schachtel. Als er es anzündete, schien das kratzende Geräusch ohrenbetäubend laut in dem Zimmer widerzuhallen. Es flackerte auf und wurde gleichmäßig, aber Alisons Lider zuckten nicht einmal. Er beobachtete sie mehrere Sekunden lang, bevor er das Streichholz in die Höhe hielt und sich im Zimmer umblickte. Soweit er sehen konnte, war alles wie sonst auch: Ihre Kleider lagen auf einem Haufen auf dem Boden, Kassetten und Bücher wild durcheinander auf den Stühlen und dem Tisch. Das einzige, was ihm auffiel, war der Geruch. Als das schwache Licht wieder ausging, sog er den Geruch ein. Das Zimmer war voll von dem schweren, süßen Duft, den er zuvor auch im Arbeitszimmer gerochen hatte. Irritiert begann er, rückwärts aus dem Zimmer zu gehen. Diana tat es ihm nach. Lautlos zog er die Tür zu und schloß wieder ab, dann ging er mit seiner Mutter zur Treppe.
    Als sie unten angekommen waren, ließ er sich neben seinem schlafenden Vater in einen der tiefen Lehnstühle fallen. Er bemerkte plötzlich, daß er zitterte. Glänzender Schweiß lief ihm eiskalt über die Haut, als der Schmerz wieder mit neuer Gewalt sein Bein hochlief. Er lehnte sich zurück, schloß die

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