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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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getrennt und angenommen von welchen Göttern auch immer, dort in dieser finsteren Unterwelt, würde er nie wieder im Licht der Sonne erstrahlen.
    Das Meer war unruhig, die Wellen braun von den Sandbänken, die der Sturm in der Nacht abgenagt und neu formiert hatte. Darüber sandte ein tief und schnell fliegender Schwärm Gänse seine laut tönenden Signalrufe hinaus in den Wind, wo sie sich verloren.
    Noch eine Flut, noch ein Sturm, und die Düne würde verschwunden sein, der Torf und der Lehm würden sich mit den tosenden Tiefen der Nordsee mischen, und ihr Geheimnis würde für immer verborgen sein. Wieder löste sich ein Stück weicher schwarzer Erde, rutschte hinab, und die Luft, zerstörerisch, ätzend, heimtückisch, berührte den Arm, der dort in etwas gebettet lag, was einmal ein Floß aus blühenden Binsen gewesen war. Um den Oberarmknochen, lose, wo er einmal eng angelegen hatte, lag der zu einem Halbkreis gebogene Armring des Priesters.
    »Kommen Sie, hier durch.« Patrick wandte sich Kate zu und reichte ihr seine Hand. Sie keuchten jetzt beide, erschöpft von der Kletterei durch ein Wirrwarr aus nassem Gestrüpp.
    »Bist du sicher, daß du weißt, wo diese Abkürzung hinführt?«
    Kate kletterte hinter ihm her und hörte, wie ihre Jacke an einem Brombeerstrauch hängenblieb und den nächsten Riß bekam, als sie sich einen rutschigen Abhang hochhievte. Schließlich stand sie neben ihm in einer Lichtung.
    »Natürlich. Greg und ich sind früher immer so gegangen. Der Weg verläuft völlig anders; so schneiden wir die ganze Ecke ab und kommen gleich unterhalb des Hauses der Farnboroughs raus.« Patrick sah sich um. Es war vollkommen dunkel in der Lichtung; die Bäume, glänzend vom Schneeregen, hingen tief über ihnen, und auf den Blättern einer Steineiche konnten sie das Zischen des Regens hören. Die Luft roch nach nasser Erde, Bucheckern und verfaulenden Blättern.
    Kate lief ein Schauder über den Rücken. Sie blickte zu Patrick. Er trug das Gewehr jetzt auf dem Rücken; in der Hand hielt er einen dicken Stock, den er aus einem Gebüsch gezogen hatte, als sie in den Wald eingetaucht waren. Beides beruhigte sie. Sie blickte sich wieder um. Nicht zum erstenmal hatte sie das Gefühl, daß sie beobachtet wurden. Ihre Faust legte sich fester um ihren eigenen Stock. Er war nicht so lang wie der von Paddy, aber genauso kräftig. Sie hielt ihn vor sich, als ihr Blick sich in den Schatten verlor.
    Patrick sah ihren Blick. »Da ist niemand.« Er klang nicht sehr zuversichtlich. Wenn da jemand wäre, würden wir hören, wie die Vögel auffliegen. Fasane. Tauben. Sie haben ja vorhin gehört, was für einen höllischen Lärm sie machen, als wir sie aufgescheucht haben. Und hier unten gibt es Elstern. Sie alle würden es uns wissen lassen, wenn irgendwer in der Nähe wäre œ oder irgendwas.
    Sie nickte. »Trotzdem wünschte ich, wir hätten einen Hund dabei.«
    Patrick nickte. Er grinste. »Eine Abteilung Fallschirmjäger wäre auch nicht verkehrt. Los. Es kann nicht mehr weit sein. Wenn wir erst auf der Straße sind, geht‘s uns gleich besser.«
    Also spürte er es auch. Kate schaute wieder hinter sich. Es war nichts mehr zu sehen, woher sie gekommen waren. Das Gewirr aus Brombeersträuchern, toten braunen Gräsern und Nesseln hatte sich wieder geschlossen, ohne eine Spur davon zu hinterlassen, wo sie sich durchgekämpft hatten. Einen Moment lang geriet sie in Panik. »Wohin jetzt?«
    »Aufwärts. Die Straße liegt ein gutes Stück höher als unsere Farm. Es geht immer den Berg hoch. Wir müßten dann irgendwo zwischen Welsly Cross und der Farnborough-Farm auf die Straße stoßen. Wir können uns gar nicht verlaufen.«
    »Nein?« grinste sie matt. »Ich hoffe, das sind keine dieser berühmten letzten Worte.«
    Er war schon im Begriff weiterzugehen, als er plötzlich stehenblieb. Er sah sie lange an. Sein schmales Gesicht war eingefallen vor Erschöpfung. »Sie sehen völlig kaputt aus.«
    Sie lächelte. »Genauso wie du.«
    »Das alles ist bald vorbei, oder?«
    »Natürlich ist es das.« Der Versuch, ihn zu beruhigen, vergrößerte ihre eigene Zuversicht keineswegs. Sie schaute zum Himmel. Wo sie ihn durch die ineinanderverschlungenen Zweige des Gebüschs sehen konnte, wurde er immer schwärzer. »Wir sollten weitergehen.«
    »Ich weiß. Es war nur ein Vorwand, um wieder zu Atem zu kommen.« Er zog den Gewehrriemen höher über seine Schulter, dann drehte er sich um und ging mehr mit gespielter Tapferkeit als

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