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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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die Scheibenwischer anschaltete und innen mit einem Tuch den Beschlag von den Scheiben wischte.
    »Ich hasse dieses Wetter.« Sue beugte sich nach vorn, um das Radio anzumachen, und probierte die Sender durch.
    Ihre Mutter verzog das Gesicht, als Radio Eins in die kalte Stille schmetterte. »Muß das sein?«
    »Ach komm schon, Mum. Demnächst sagst du mir noch, daß du die Vögel hören willst.«
    »Warum nicht?« Cissy zuckte mit den Schultern, dem Argument nicht gewachsen. Mit einem Seufzer löste sie die Handbremse und ließ das schwere Fahrzeug hinaus aus den Hof und auf die Straße rollen. Das Streufahrzeug war in der Nacht hier gewesen, und auf der Straße lag gelblicher Schneematsch. Es waren keine anderen Autos in Sicht, als sie vorsichtig die zwei Meilen fuhr, nach denen die Redall Lane abzweigte. »Ich hoffe, ihr Weg ist nicht zu schlecht«, murmelte sie, als sie einbog. »Ich verstehe nicht, wieso Roger ihn nicht asphaltieren läßt. Man könnte meinen, sie wollen, daß sie hier unten von der Welt abgeschnitten sind.«
    »Sie haben nicht genug Geld für sowas«, warf Sue ein. Sie legte einen Knöchel auf ihr Knie und lehnte sich lässig gegen die Tür. Sie versuchte, es sich bequem zu machen, während das Auto über die Schlaglöcher ruckelte. »Wenn Dad was von Nachbarschaft hielte, würde er es für sie machen. Es würde ihn nicht mal was kosten œ er macht andauernd die Farmstraßen, und für die Lindseys würde das einen Riesenunterschied machen.«
    Cissy holte Luft und wollte schon erwidern, daß das nicht so einfach sei œ Joe würde es nie tun, und Roger würde es nie annehmen -, als sie sich eines Besseren besann. Die Kinder sahen oft völlig klar, was getan werden mußte, und oft taten sie es dann auch. Es waren die Erwachsenen, die mit ihrem Hin und Her und ihren selbst auferlegten Regeln alles zum unlösbaren Problem werden ließen. Warum sollten sie zur Abwechslung nicht mal jemandem helfen? Joe konnte ja sagen, daß er zuviel Kies oder Asphalt oder was immer sie zum Straßenbauen verwendeten, bestellt habe; eine fromme Lüge, um Rücksicht auf Rogers Stolz zu nehmen.
    »Warum lächelst du so?« Sue starrte sie trotzig an; sie wartete darauf, daß ihre Mutter ihr sagte, sie solle sich hinsetzen wie eine Dame. Cissys Lächeln wurde nur noch breiter. Na und, scheiß drauf. Das Kind konnte sich hinsetzen, wie es wollte. Schließlich war es ihr Leben.
    Der Range Rover schlidderte glücklich um die erste der steilen Ecken und bewegte sich stetig auf die nächste zu. Wagemutig gab Cissy etwas mehr Gas. Sie wollte endlich dort sein. Über ihnen wölbten sich die Bäume unter einem feinen Nebel aus Schnee. Die weißen Furchen glänzten dunkel und reflektierten kein Licht vom Himmel. Cissy schaltete verärgert die Scheinwerfer an. Im nächsten Moment stieß sie einen Schrei aus: Das Licht fiel auf eine Gestalt, die vor ihnen auf dem Weg stand. Sie machte eine Vollbremsung und kämpfte mit aller Kraft mit dem Lenkrad, aber der Range Rover geriet ins Schleudern.
    »O Gott!«
    Verzweifelt bemühte sie sich, den Wagen unter Kontrolle zu bringen. Sie hörte, wie Sue mit einem lauten Krachen zur Seite gegen das Fenster geschleudert wurde.
    »O mein Gott!« schrie sie wieder. Die Gestalt schien ihr Gesichtsfeld auszufüllen, die Hände erhoben. Dann raste der Wagen seitwärts über den Rand des Weges und krachte in den Graben. Cissys Kopf knallte gegen das Lenkrad, der Motor starb.
    In die anschließende Stille drang die Stimme von Bruce Springsteen aus dem Radio und legte sich über das tickende Geräusch des Motors und das Zischen, das aus dem dampfenden Kühler kam.

XLIX
    Patrick hielt das Gewehr fest unter seinem Arm. Er hielt sich an keine der Regeln; es war geladen und es war entsichert, aber Kate hatte nichts dazu gesagt, als sie ihm nach draußen gefolgt war und hörte, wie Diana hinter ihnen die Tür verriegelte.
    »Sollen wir einen Blick auf den Wagen werfen?« Patrick wandte sich fragend zu ihr um. Sein Gesicht war abgezehrt und bleich, und sie spürte etwas, das wohl irgendwie mütterlich war. Auch wenn er noch so sehr versuchte, erwachsen zu sein, so war er in mancher Hinsicht doch noch ein kleiner Junge und erwartete von ihr, die Erwachsene zu sein. Aber eigentlich brauchte sie ebenso eine Hand, an der sie sich festhalten konnte.
    Sie blieb stehen und horchte. Die Luft war rauh und kalt; sie roch nach feuchten Kiefern und Schlamm, verfing sich in ihrem Hals und fühlte sich in ihrem Gesicht

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