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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Augen und kämpfte mit einer Ohnmacht.
    »Ich überprüfe die Sicherungen.« Dianas Stimme erreichte ihn trotz des Dröhnens in seinen Ohren. Sie suchte in seiner Tasche nach der Streichholzschachtel, blieb einen Moment lang stehen, um sanft die Hand auf Rogers Kopf zu legen, und war schließlich verschwunden.
    Greg hatte sich in das sich drehende Kaleidoskop des Schmerzes davonrutschen lassen und sank tiefer in etwas, das sich dem Schlaf näherte, als er spürte, wie ihm ein Glas in die Hand gedrückt wurde.
    »Brandy.« Die Stimme klang knapp und befehlend. »Komm schon, Greg. Es tut mir leid, aber ich brauche dich wach.«
    Er öffnete gehorsam die Lippen und spürte das Feuer auf seiner Zunge. Noch eine Minute lang leistete er Widerstand, dann spürte er, wie er um Luft ringend zurück ins Bewußtsein getrieben wurde.
    »Ich habe alle Sicherungen überprüft, und keine ist durchgebrannt. Trotzdem funktioniert nichts.«
    Als er die Augen öffnete, sah er, daß das Zimmer mit Kerzen erleuchtet war. Er war noch immer benommen. »Hast du das Parfüm gerochen?«
    »Was für ein Parfüm?« Ihre Stimme klang irritiert. »Hast du mich verstanden, Greg? Der Strom ist weg. Überall. Und ich kann nicht herausfinden, woran das liegt.« Ihre Stimme wurde etwas lauter, und ihm wurde klar, daß es Angst war, was er hörte. Verzweifelt riß er sich zusammen und kippte noch einen Mundvoll Brandy hinunter. Dieses Mal schoß Feuer durch seine Adern, und er fühlte, wie ihm schnell klar im Kopf wurde.
    »Es ist der Wind und der Schnee«, sagte er, so ruhig er konnte. »Du weißt doch, daß der Strom oft ausfällt, wenn das Wetter schlecht ist. Wir haben den Kamin, den Ofen und Kerzen. Kein Grund zur Sorge.«
    »Nein.« Sie klang nicht gerade überzeugt. »Was oben passiert ist, Greg, das war nicht Allie, oder doch?« Sie setzte sich neben ihm auf die Armlehne seines Sessels. Er konnte fühlen, wie sie zitterte, als sie sich an seine Schulter lehnte. Er nahm ihre Hand und drückte sie zärtlich. »Nein. Allie war das nicht.«
    »Aber wer -?«
    Er schüttelte den Kopf. »Der Wind? Ein Erdbeben? Vielleicht war das Gewicht der Bücher zu schwer für die Regale. Vielleicht waren es die Katzen. Wo sind sie eigentlich? Den beiden traue ich durchaus zu, daß sie Millionen von Büchern runterwerfen, wenn sie im ganzen Haus rumtoben.«
    »Vielleicht, als sie jünger waren.« Sie schniefte. »Jetzt nicht mehr. Schon ewig nicht mehr. Normalerweise sind sie hier, beim Feuer.« Plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit Allie zurückgekommen ist.«
    Greg runzelte die Stirn. Jetzt, da es ihm aufgefallen war, war ihre Abwesenheit überdeutlich. Es war selbstverständlich, daß der eine oder der andere oder beide immer da waren, auf dem Sessel, in dem er jetzt saß, oder bei seinem Vater auf dem Sofa oder auf dem Schaukelstuhl neben dem Ofen. Ohne sie wirkte das Zimmer unvollständig, leer. Bedrohlich. »Ich vermute, sie sind nach draußen gelaufen, bevor das Wetter noch schlechter wird«, sagte er und versuchte, seine Mutter zu trösten. »Sie sind bestimmt nicht weit weg, nicht bei diesem Wetter. Es sind zarte kleine Kerle, auch wenn sie gern glauben, daß sie stark und zäh sind.«
    »O Greg!« Trotz ihres Bemühens, ruhig zu wirken, entrang sich ihr ein Schluchzen. »Was geschieht nur mit uns? Der Wagen; die Katzen; Allie; Bill. œ Ich ertrag‘s einfach nicht mehr.«
    Er legte den Arm um sie. »Nur eine Abfolge seltsamer Zufälle«, sagte er, so fest er konnte. »Und irgendein Scheißkerl da draußen, der bald hinter schwedischen Gardinen sitzen wird, wenn Paddy und Kate ein Wort mitzureden haben.«
    »Werden sie durchkommen?« Es war ein Flehen.
    »Natürlich werden sie durchkommen.« Er wünschte sich, so sicher zu sein, wie er klang.

L
    Schneeregen traf die Seite der Düne, drang in die sandigen Spalten, blieb dort einen Moment lang liegen, halb Schnee, halb Eis, schmolz dann und lief in die Risse und Ritzen. Wieder fiel ein Klumpen Sand ab. Der schwarze, schwammige Torf darunter roch süßlich. Jetzt, da er nicht mehr mit einer luftdichten Hülle überzogen war und da seit fast 2000 Jahren zum erstenmal Tageslicht auf ihn fiel, wusch ihn der Schneeregen in einem schwarzen Streifen über die Vorderseite der Ausgrabung nach unten.
    Weiter unten sank der große goldene Halsreif, das Symbol von Nions königlicher Abstammung, noch tiefer in den Grund. Durch sein Gewicht von seinem silbernen Begleiter

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