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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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störend. »Gleich singst du Onward Christian Soldiers«, fuhr sie im Plauderton fort. »Also los, du Scheißkerl.« Sie sprach jetzt nicht mehr zu sich selbst. »Wenn du da draußen bist, dann zeig dich, wer immer du bist.«
    Das war ja lächerlich. Da war niemand. Niemand. Sie biß die Zähne zusammen und ging weiter, konzentrierte sich verzweifelt auf die Schönheit der Nacht. Sie konnte verstehen, wieso Kate ganz verzaubert von diesem Ort war. Die Stille, die frische, saubere Luft, die, wie sie annahm, direkt vom Eis der Arktis kam. Außerdem hatte sie, bevor der Mond verschwunden war, durch die Bäume gelegentlich einen Blick auf glitzerndes, stilles Wasser erhascht. Sie malte sich das Cottage aus, in dem Kate es sich inzwischen vermutlich unter der Bettdecke behaglich gemacht hatte. Ein warmer Ofen, Eichenbalken, schmucke Vorhänge, ein altes Bett mit weicher Federkernmatratze und einer altmodischen Patchwork-Decke. Wenn sie ankam, würde es Kaffee und Essen und natürlich Whisky geben, und eine lange Nacht voller Getratsche am Kamm, die Füße gut zugedeckt.
    Plötzlich wurde sie aus ihren Träumereien gerissen. In der Ferne konnte sie den Klang eines galoppierenden Pferdes hören. Es kam näher. Das Quietschen von Leder, die schnaubenden Nüstern des Pferdes. Sie sprang zur Seite, herunter vom Weg, fühlte, wie der Boden unter dem Reiter erzitterte, als er rasend schnell den Weg hinaufgaloppierte. Dann war er verschwunden. Schockiert starrte sie zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Gesehen hatte sie nichts. Wie konnte jemand mit solcher Geschwindigkeit durch die Dunkelheit reiten? Und warum? Was war so wichtig?
    Voll dunkler Vorahnungen ging sie zurück auf den Weg und umklammerte ihre Tasche wieder fester. Plötzlich bemerkte sie einen neuen Geruch in der kalten Frische der Luft. Einen ekelhaften, beißenden Geruch. Den Geruch von Verbranntem.
    Sie blieb einen Moment lang stehen, sah die noch schwelenden Reste der Scheune, spürte die Hitze, die unter der schwarzen, stinkenden Asche herausschlug, dann ging sie langsam auf das Farmhaus zu und klopfte laut an die Tür.
    Lange Zeit geschah nichts. Keine Lichter gingen an. Es gab kein Geräusch. Sie geriet bereits in Panik, daß niemand da wäre, als sie endlich hörte, wie irgendwo innen eine Tür aufging.
    »Wer ist da?« Hinter der Tür klang die Stimme des Mannes seltsam hohl.
    »Hallo. Tut mir leid, daß ich noch so spät störe. Ich bin mit meinem Wagen den Weg nicht runtergekommen. Ich bin Anne Kennedy. Kates Schwester.« Mit einer verriegelten Tür zu sprechen, kam ihr ein wenig lächerlich vor. Sie wünschte, sie würden sich beeilen und öffnen. Irgend etwas hier draußen stimmte nicht, etwas Beängstigendes lag in der Luft. »Bitte. Darf ich reinkommen?« Sie versuchte, die Panik aus ihrer Stimme fernzuhalten.
    »Warten Sie.« Es klang kurz angebunden. Fast grob.
    Anne starrte ungläubig auf die Tür. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, daß sie sie nicht hereinlassen könnten. Sie blickte hinter sich auf den matten, weißen Glanz des schneebedeckten Rasens.
    »Anne? Bist du das?« Plötzlich hörte sie Kates Stimme. Die Klappe des Briefkastens hob sich, und eine Taschenlampe leuchtete heraus in die Dunkelheit. »Mach dich kleiner, damit ich dein Gesicht sehen kann.«
    »Um Gottes willen, Kate! Natürlich bin ich es. Aber ich wünschte aufrichtig, es nicht zu sein!« Sie hatte den letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung verloren. Anne beugte sich nach vorn und starrte in den Briefschlitz. »Was ist bloß mit euch allen los?«
    »Sie ist es. Laß sie rein.« Sie hörte die gedämpften Worte, als die Klappe zufiel. Sofort folgte das Geräusch von Riegeln, die zurückgeschoben wurden.
    »Schnell. Komm rein.« Kate zog sie über die Schwelle in die dunkle Diele. Im schwachen Schein einer flackernden Kerze, die auf einer Untertasse stand, sah Anne, wie jemand hinter ihr die Tür zumachte und die Riegel wieder vorschob, dann wurde sie in ein von Kerzen erleuchtetes Wohnzimmer geführt. Es war warm und roch nach wunderbarem Essen, und es war voller Menschen. Sie mußte zweimal hinschauen.
    »Hier sieht‘s ja aus wie im Krankenhaus von Scutari«, platzte sie heraus. »Kate, Schatz, was ist hier los?«
    Auf dem Sofa lag eine Frau mit einem blauen Auge, die den Arm in der Schlinge trug; auf den Kissen in der Ecke lag ein in Decken gewickeltes Mädchen; neben dem Kamin saß ein Mann, der seinen bandagierten Fuß auf einen Schemel gelegt hatte. Und

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