Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
hinter ihr standen die zwei Männer œ ein Mann und ein Junge, korrigierte sie sich, als sie einen Blick auf die beiden warf, œ die mit Kate zusammen die Tür geöffnet hatten, und starrten sie an, als sei sie gerade vom Mars gekommen. Zwei andere Erwachsene und ein Mädchen befanden sich in der Nähe, und alle sahen sie an. »Was geschieht hier? Was ist los?«
»Oh, Anne!« Kate warf sich in ihre Arme.
»Die dea ex machina kommt zu unserer Rettung, nehme ich an.« Die Worte kamen von dem Mann mit dem verletzten Fuß.
Anne starrte ihn verständnislos an, dann wandte sie sich wieder Kate zu. »Mir scheint, du mußt mir einiges erklären«, sagte sie.
LVII
Er ritt schnell, beugte sich vor zum Nacken seines Pferdes. Die Brosche, die Eingeborenenbrosche, mit der sie ihre Toga festgesteckt hatte, hielt jetzt, da er gegen den Windritt, seinen Mantel. Der Prinz der Trinovanter hatte den Preis bezahlt und war unterwegs zu seinen Göttern, an seiner Seite die Frau, die der Hölle entstiegen war, mit ihren Flüchen, ihrem Haß. Sollte sie ihn nur verfluchen. Wer würde je wissen, was heute hier geschehen war? Es gab keine Zeugen, keine Überlebenden. Ihre Schwester war ein einfaches, fügsames Mädchen, sie würde ihm glauben, wenn er ihr erzählte, daß Claudia mit ihrem Liebhaber zu dessen Brüdern in den Westen geflohen war. Sie würde bestürzt sein, aber sie würde ihm glauben. Und sie würde die Notwendigkeit einer Scheidung einsehen.
Er lächelte, während er dahinritt, und er hob die Hand, um sein Pferd noch schneller vorwärts zu peitschen, als es den Anstieg erklomm und mit den Hufen Wolken aus Staub emporwirbelte. Er hatte bereits beschlossen, wieder zu heiraten. Ihre Schwester sah ihr sehr ähnlich. Außerdem war sie viel jünger und ungleich gehorsamer. Sie würde seinen Haushalt führen und seinen Sohn großziehen; ihm mehr Söhne schenken, wenn sie ihre Pflichten gut erfüllte. Und er würde dafür sorgen, daß der Stamm des Prinzen nie wieder nach Colonia Claudia Victricensis kommen würde. Der Stamm war eine Brutstätte für Aufwiegler; sie hatten sich mit den Icenern gegen Rom verschworen. Ein brennender Strohhalm konnte den Haß gegen ihre Oberherren entzünden, aber es würde nicht sein Strohhalm sein; aufsein Betreiben würde es keinen Auf stand geben. Und auch sie würde nicht dazu beitragen. Claudia. Die Frau, die er wie eine Göttin behandelt hatte. Niemand würde je erfahren, was sich heute hier zugetragen hatte. Sie würde es keinem mehr erzählen können; sie hatte ihren Verrat und ihre Wut mit in den schlammigen, schmählichen Tod genommen.
»Es sind zehn Menschen in diesem Haus.« Roger stand mit dem Rücken zum Kamin und blickte auf die anderen hinunter, die um ihn saßen. Allie hatte noch immer nicht gesprochen. Sie schlief in der Ecke auf einem Berg von Polstern und Kissen. Sue saß neben ihr, hielt ihre Hand, und ihre Augen schlössen sich, als sie in der Wärme des Zimmers langsam einnickte. »Ich kann einfach nicht glauben, daß wir das, was uns heute nacht hier bedroht, nicht bezwingen können. Anne. Sie sind, wie ich höre, eine Expertin.« Er verbeugte sich in ihre Richtung. »Und wir scheinen uns darin einig zu sein, daß unser Feind kein Mensch ist. Darf ich Sie bitten, uns zu sagen, was zum Teufel wir tun sollen!« Er ging zu seinem Sessel und ließ sich mit einem Stöhnen hineinsinken.
Anne fühlte sich tausendmal besser als zuvor, als sie noch allein durch den Wald gegangen war. Aber jetzt, nachdem man ihr den ganzen Schrecken der Lage erläutert hatte, konnte nicht einmal eine Schüssel heiße Suppe das Frösteln vertreiben, das ihren ganzen Körper durchzog. Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin Psychologin, kein Medium. Ich weiß sehr wenig über Gespenster. Soweit ich weiß, habe ich noch nie eines gesehen.« Wer aber war dann der geheimnisvolle Reiter gewesen, der auf dem Weg an ihr vorbeigedonnert war? Niemand im Haus wußte etwas über ihn.
»Du mußt Allie helfen, Anne«, bat Kate sie von ihrem Sitz auf dem Boden aus. Sie hatte sich an die Seite von Gregs Stuhl gelehnt und starrte in die Glut. Seine Hand lag leicht auf ihrer Schulter.
»Ich glaube, sie ist besessen«, sagte Greg ruhig. »Ihre Kraft, ihre Stimme, ihre Handlungen. Nichts davon gehört zu Alison.«
»Greg. Nicht!« Dianas Stimme war voller Qualen. Sie blickte hinüber zu den beiden Mädchen. Sues Kopf war nach vorn gefallen; sie hielt Alisons Hand nicht länger fest, und ihre Finger hingen nach unten.
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