Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde
leise.
»Mord. Ich glaube, er hat sie ermordet. Ihr Kleid ist voller Blut.«
»Und es ist ihr Grab, das Alison in den Dünen gefunden hat.«
Anne zitterte. Sie zog eines der Kissen vom Ende des Sofas, warf es auf den Boden vor dem Kamin und setzte sich darauf, die Arme um die Knie gelegt wie ihre Schwester. »Angenommen, du hast recht«, sagte sie nachdenklich. »Wovon müssen wir dann ausgehen? Daß Alison mit ihrer Ausgrabung ein uraltes Verbrechen aufgedeckt hat? Daß eine Frau nach 2000 Jahren oder so noch immer nach Rache schreit, und daß sie und der Mann, der sie ermordet hat, aus irgendeinem Grund jeden angreifen, der ihnen über den Weg läuft? Daß sie in der Lage sind, einen Mann totzuschlagen, eine Scheune niederzubrennen, ein Auto ins Meer zu werfen, die Telefonleitung zu unterbrechen, Erde und Maden und Parfüm erscheinen zu lassen und jeden körperlich zu bedrohen, der töricht genug ist, nach draußen zu gehen?«
»So klingt es wie ein ziemlich schauriges Szenario«, kommentierte Roger trocken. »Aber weil wir keine bessere Theorie haben, und weil es fast genau Mitternacht ist, also die traditionelle Geisterstunde, und weil, was immer auch geschehen ist, eine recht große Gruppe verantwortungsbewußter Menschen, von denen die meisten ansonsten geistig gesunde Erwachsene sind, in Angst und Schrecken versetzt hat, würde ich sagen, sie klingt erst einmal ziemlich überzeugend.«
»Vielleicht hat Kate recht, und wir sollten beten«, warf seine Frau zögernd ein. »Ich weiß, daß du Gebete ablehnst, Schatz, aber es scheint die einzige Möglichkeit zu sein, die uns bleibt, und traditionell gesehen, um deinen Ausdruck zu benutzen, ist es die einzig vernünftige Reaktion.«
»Es ist die einzig mögliche Reaktion«, murmelte Patrick.
»Blödsinn«, gab Roger zurück. »Die einzig vernünftige Handlung ist, daß wir alle schlafen gehen. Morgen frühstücken wir dann erst mal, und anschließend gehen einige von uns mit Joe den Weg hinauf und rufen die Polizei. Immerhin ist ein Mord geschehen. Wenn da draußen irgend jemand ist, und ich bezweifle, daß er noch immer da ist, dann ist es meiner Meinung nach ein Mensch. Irgendein Irrer, der irgendwo entsprungen ist. Der arme Bill war zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Polizei wird ihn schnappen. Aber daß wir anderen jetzt alle durchdrehen wegen dem, was passiert ist, kommt nicht in Frage. Ich bin sicher, daß wir eine logische Erklärung finden werden. Ihr könnt machen, was ihr wollt. Ich gehe jetzt schlafen.« Er stand auf.
Niemand sonst rührte sich. »Es gibt nicht genug Betten für alle, Roger«, warf Diana geistesabwesend ein.
»Dann können alle, die das wollen, hier unten am Kamin bleiben. Es gibt jede Menge Decken. Jeder kann es sich bequem machen.« Roger bückte sich und warf ein paar Scheite ins prasselnde Feuer. Es sprühte Funken. »Joe. Ich schlage vor, du nimmst das Bett meines Sohnes, weil er besser nicht Treppen steigen sollte. Kate, Sie und Anne -«
»Wir bleiben hier unten, Roger, danke. Ich fühle mich sehr wohl hier am Feuer.« Kate lächelte ihn an.
»Ich auch«, setzte Patrick hinzu.
Kate blickte zu Greg. »Du gehst besser ins Arbeitszimmer und legst dich hin, Greg. Schone deinen Fuß. Wir halten Wache. Wenn irgendwas passiert, rufen wir dich.«
Er legte ihr wieder die Hand auf die Schulter. Die Berührung war nur leicht, ein Streifen, nicht mehr. »Danke, aber ich glaube, ich bleibe lieber her. Ich fühle mich hier zu wohl, um wegzugehen.«
Als die älteren Mitglieder der Gruppe nach oben gegangen waren, setzte Anne sich in den Sessel, den Roger freigemacht hatte. »Hat irgendwer von euch die Wettervorhersage gehört?« sagte sie leise. »Sie ist unglaublich schlecht. Ich weiß nicht, ob es durch die Nähe zum Meer besser wird, aber morgen soll es Schneestürme geben. Es wird nicht leicht sein, Hilfe zu holen.«
»Denken Sie, wir sollten es jetzt versuchen, bevor es zu schlimm wird?« Greg lehnte sich nach vorn.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich wollte euch nur warnen.«
»Ich finde nicht, daß wir nochmal rausgehen sollten«, warf Kate ein. »Bis jetzt haben wir Glück gehabt.« Ihr Blick wanderte hinunter zu Gregs Fuß. »Aber ich denke, wir sollten nichts mehr riskieren.«
»Ich finde, wir sollten eine Flasche Wein aufmachen.« Greg hievte sich auf die Füße. »Wenn wir wachbleiben, können wir das genausogut auch genießen, und wenn es uns hilft einzuschlafen,
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