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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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waren geschlossen, das Gesicht kreidebleich, und jetzt das eines Kindes, während es einen Moment zuvor noch jemand völlig anderem gehört zu haben schien. Er erschauderte.
    Plötzlich lag eine Hand auf seinem Arm. Er blickte zur Seite und sah in Kates Augen. Sie lächelte, als sie neben ihm vorwärtsstolperte. »Gott sei Dank, daß du da bist.« Hörte er die Worte gegen den Wind, oder bildete er sie sich nur ein? Er wollte die Hand ausstrecken und sie berühren, aber alles, was er tun konnte, war lächeln und weiterstolpern. Er spürte, wie das Gewicht des Mädchens an seinen Armen zerrte, und sah sie an, als ihr Kopf nach hinten fiel und sie ihre Augäpfel verdrehte. Er blieb entsetzt stehen und starrte hinunter in ihr Gesicht. Ihr Körper war jetzt vollkommen erschlafft, kalt in der zugeknöpften Jacke.
    »Jon, was ist los?« Kate, die neben ihm stand, schaute hinunter auf Alisons Gesicht.
    Ihre Blicke trafen sich. »Wir müssen sie schnell reinbringen, Kate.«
    Sie nickte wortlos. Nachdem sie die Jacke enger um Alisons Körper gewickelt hatte, folgte sie Jon, während er durch den Schnee stapfte, den Rücken gegen den Wind gekrümmt.
    Im Cottage trug er sie sofort nach oben und legte sie vorsichtig auf Kates Bett. Dann trat er zurück, und Kate deckte das Mädchen zu und rieb ihre Hände.
    Pete erschien hinter ihnen in der Tür. Er hatte die Haustür und die Tür zum Wohnzimmer geschlossen, bevor er die Treppe hochgegangen war. Anne und Paddy folgten.
    »Was ist mit Bill passiert?« fragte Jon leise. Er ließ die Augen nicht von Alisons Gesicht.
Kate sah nicht auf. »Er wurde angegriffen. Hier in der Nähe im Wald.«
    »Angegriffen?«
    Sie fuhr fort, Alisons Hände zu reiben. »Er sagte, es war eine Frau. Zwei Frauen. Wir brachten ihn hierher. Aber das Telefon ging nicht. Wir konnten keine Hilfe holen.« Ihre Stimme zitterte; er sah, wie eine Träne auf die Decke fiel. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. »Nach den Verletzungen in seinem Gesicht zu urteilen, war keine Hilfe mehr möglich, Kate. Ich würde sagen, er hatte einen mehrfachen Schädelbruch.«
    »Er sagte, es sei Allie gewesen.« Die Worte waren ausgesprochen, bevor sie es verhindern konnte. Schließlich hob sie den Kopf. »Sie kann es nicht gewesen sein, oder? Unmöglich… Er war ein großer Mann. Sie ist nur ein Kind…«
    Es war sehr still im Zimmer. Das Mädchen auf dem Bett, das Gesicht kreidebleich, das feuchte Haar über das Kissen verstreut, bewegte sich nicht. Ihre Hand, die Kate hielt, war schlaff und kalt. Kate lehnte sich an Jon, die Augen geschlossen. Sie war plötzlich so müde, daß sie sich nicht bewegen konnte. Alisons Hand fiel ihr aus den Fingern. Einen Moment lang lag sie auf der Decke, dann ballte sie sich plötzlich zu einer Faust. Die Augen des Mädchens flogen auf. Als sie sprach, war ihre Stimme stark und triumphierend.
    »Hört«, rief sie. »Hört doch! Endlich steigt die Flut.«

LXV
    Als Boadicea mit ihrer Anhängerschaft über das Land fegte und die Stadt niederbrannte, die sie Camelodunum nannte, war er einer der wenigen, denen die Flucht gelang. Er nahm seine neue Frau und sein Kind, ritt rechtzeitig aus der Stadt und wartete in Sicherheit, ab, während der Rauch des Auf Stands über das Land trieb. Ein Funke hatte die Revolte entzündet, wie er es erwartet hatte. Aber er hatte nichts damit zu tun gehabt. Claudias Fluch hatte ihn nicht getroffen. Der unbekannte, unbesungene Prinz, geopfert in einem britannischen Sumpf, war unbemerkt im Nebel der Zeit versunken. Er triumphierte. Später, wenn die Rebellion niedergeschlagen war und es Nions Stamm nicht mehr gab, weil man das stolze und rebellische Volk restlos abgeschlachtet hatte, würde er das Land erhalten.
    Er bat als Belohnung für die Dienste, die er Rom geleistet hatte, um das Sumpfgebiet, wo die Furie, die er einst seine Frau genannt hatte, gestorben war. Es war ihm übertragen worden, und noch viel mehr. Er wurde reich und dick, kaufte mehr Land, besaß zwei Villen. Er beobachtete, wie sein Sohn aufwuchs; der Junge, der dichtes, kastanienbraunes Haar und glasgraue Augen hatte wie seine Mutter. Und einmal im Jahr ritt er nach Osten, wo das Land an den Sumpf grenzte, und er stand da und schaute hinunter, starrte auf die Schwertlilien und die wilde Baumwolle, die im messerscharfen Wind wehten. Andere, Fremde, die er nie gesehen hatte, brachten den Sumpfgöttern immer noch Opfer dar œ Töpfe mit Münzen, kleine Schmuckstücke, sogar

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