Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
Vom Netzwerk:
flüsterte sie.
    Greg wollte zurück zu seinem Vater, aber sie hielt ihn am Ärmel fest. »Nein. Ich bin sicher, daß er es weiß, aber sagt nichts. Kannst du nach oben gehen und Joe wecken? Er muß unbedingt versuchen, einen Arzt zu holen.«
    Greg nickte. Mit einem Blick auf das Gesicht seines Vaters schleppte er sich hinüber zur Tür, umklammerte das Geländer und hievte sich mit zusammengebissenen Zähnen Stufe um Stufe nach oben. Sein Gesicht war schweißgebadet, als er in das abgedunkelte Zimmer hinkte und den schnarchenden Joe wach rüttelte. Aber Joe brauchte nur kurz, um den Tiefschlaf abzuschütteln und aufzustehen. »Ist gut. Keine Sorge. Ich komme schon hm.«
    Auch er bekam zur Stärkung ein Marmeladenbrot und einen Becher heißen Tee, bevor er hinaus in die Kälte ging.
    »Es gefällt mir gar nicht, daß du allein rausgehst, Joe«, murmelte Greg, als er neben ihm auf der Schwelle stand. Er stützte sich schwer auf seinen Stock.
    Joe lächelte entschlossen. »Mach dir mal keine Sorgen um mich.« Über dem linken Arm trug er sein Gewehr. »Du paßt auf die anderen auf. Auf deinen Vater und Cissy und Sue. Ich lasse dich nicht gern allein hier zurück -«
    »Wir sind hier in Sicherheit, Joe.« Greg tat sein Bestes, um zuversichtlich zu klingen. »Mach dir keine Sorgen um uns. Bring uns bloß Hilfe für Dad.«
    Joe nickte. Er zog den Mantelkragen über die Ohren und ging hinaus in die Dunkelheit.

LXIV
    Die Fußabdrücke füllten sich vor ihren Augen auf und verschwanden unter einer neuen Schicht Schnee. Pete ging etwas voraus. Er lief schnell, den Kopf nach unten gerichtet, gegen den Wind. Um sie herum war die Landschaft in ein einheitliches Weiß gehüllt, das mit Meer und Himmel zu einer unbestimmten, kalten Gestalt ohne Form verschmolz.
    »In diese Richtung ist sie gegangen.« Pete verlangsamte seinen Schritt und sah sich suchend um. »Hier scheinen die Fußabdrücke aufzuhören.« Sie starrten verzweifelt herum, beide nach vorn gebeugt, und studierten den Schnee. »Ich sehe nichts…«
    »Hier.« Jon war näher zum Meer gegangen und hatte die Spuren wieder gefunden. Schwächer jetzt, und mit verwischten Rändern, als ob sie gelaufen wäre.
    Kate.
    Er starrte an den Dünen vorbei hinüber zum Meer. In beiden Richtungen erstreckte sich der Strand, und nichts rührte sich in dieser kalten Leere.
    »Kate!« Sein Schrei wurde vom Wind verschluckt und durch den Schnee gedämpft. »Kate!«
    Pete schwieg. Er war weitergegangen, den Kopf nach unten gegen den Wind, das Gesicht mittlerweile unbeweglich vor Kälte, und er versuchte, durch den wirbelnden Schnee neue Fußabdrücke zu sehen.
    »Sie ist auf das Meer zugegangen«, rief Jon. »Warum?« »Vielleicht hat sie die Orientierung verloren. Panik?« Pete war stehengeblieben, die Hände tief in den Taschen. »Die arme Frau muß den Schrecken ihres Lebens bekommen haben.« Er schüttelte den Kopf. »Sollen wir weitergehen?«
    »Natürlich gehen wir weiter.« Jon bebte. »Wir gehen weiter, bis wir sie gefunden haben.«
    Er stolperte voran durch den Schnee, unter dessen weißer Decke der weiche Sand lag, in den er immer wieder einsank. »
    Kate!« Seine Stimme hob sich und löste sich auf, vom Wind in Fetzen gerissen. »Kate!«
    Die Stimmen kämpften immer noch in Alisons Kopf. Sie stand da und starrte hinunter in das mit Schnee gefüllte Grab. Sie sah nichts von dem Schnee, und auch nicht die beiden Gestalten, die gegen den Wind anliefen.
    »Kate!«
    Das Wort wirbelte an ihr vorbei und verlor sich. Es bedeutete nichts.
    Hure
    Mörder
    Sie waren in ihrem Kopf, sie beide, und saugten ihre Energie ab. Bald würde sie leer sein, und sie würden gehen.
    »Es ist nicht Kate!«
    Sie hörte die Worte nicht; sah die beiden Männer nicht, die jetzt neben ihr standen, einer auf jeder Seite.
    »Wer dann?«
    Jon zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht.« Zögernd streckte er die Hand aus, um ihren Arm zu berühren. »Bist du okay?«
    Alison nahm ihn nicht zur Kenntnis. Sie sah ihn nicht, sie hörte ihn nicht. Ihr Blick war wie gebannt von dem treibenden Schnee zu ihren Füßen.
    »Heh, Mädchen, bist du okay?« Pete nahm sie bei den Schultern und schüttelte sie leicht.
    Alison reagierte nicht. Claudias Gesicht war weiß vor dem Hintergrund des Schnees, ihr Gewand, noch immer blutbeschmiert, so blau wie der Himmel. Sie konnte die Not der Frau spüren, die Sehnsucht, die Furcht und den Haß: Mögen die Götter dich bis in alle Ewigkeit verfluchen, Marcus Severus Secundus,

Weitere Kostenlose Bücher