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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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davor nieder, versuchte, sie zu wärmen. Es ist nur ein Satz, der mir im Kopf herumgeschwirrt ist. Ich muß ihn irgendwo gelesen haben, und irgendwie hat er sich in meinem Gehirn festgesetzt, und ich habe ihn getippt. Idiot. Idiot. Ihr Blick wanderte gegen ihren Willen zur Tischschublade. Mehrere Minuten lang widerstand sie dem Bedürfnis, hinüberzugehen, dann gab sie auf. Sie nahm den Halsreif und ging damit zurück zum Feuer, setzte sich vor der Flamme auf den Boden und drehte das Metallstück in ihrer Hand. Sie war keine Expertin, keine Archäologin, aber sie wußte genug darüber, um einigermaßen sicher zu sein, daß das ein keltisches Schmuckstück war. Wohl wirklich aus Silber und deshalb einst bestimmt das Eigentum eines reichen Mannes; eines Mannes und nicht einer Frau, nach dem Gewicht und der Größe zu urteilen. Es war bestimmt nicht römisch, egal, was Alison dachte. Also gehörte es nicht Marcus Severus. Hatte ihm nicht gehört, korrigierte sie sich sofort. Wem aber dann? Wie kam es in den Sand am Rande der Redall-Bucht? Die britischen Stämme, die gegen Rom gekämpft hatten, waren Kelten. Die Welt der Kelten, die heute im allgemeinen Bewußtsein nur mit Wales, Schottland, Irland und der Bretagne in Verbindung gebracht wird, erstreckte sich einst über ganz Britannien œ über ganz Europa. East Angha war genauso keltisch gewesen wie Gwynedd oder Galloway. Erst durch die Invasionen der Sachsen waren ihre Spuren in der Erinnerung der Menschen ausgelöscht worden.
    Sie setzte sich weiter zurück, lehnte sich gegen das Sofa und zog die Knie hoch, das Metall in den Händen. Es war jetzt warm. Die Stellen, an denen sie gerieben und gekratzt hatte, blinkten im Schein des Feuers. Sie schloß die Augen. Dieser Teil des Landes œ dieser Teil von Essex œ war, wie Alison gesagt hatte, das Land der Trinovanter gewesen, also jenes Stammes, der sich Boadicea und den Icenern in ihrem Aufstand gegen Rom angeschlossen hatte. Enttäuscht und betrogen von ihren römischen Oberherren in Colchester, hatten sie nicht gezögert, gegen die fremden Unterdrücker zu revoltieren. Hatte dieser Halsreif einem von ihnen gehört? Einem keltischen Edelmann? Einem Fürsten? War das da draußen am Strand sein Grabhügel, gepeitscht von der winterlichen See?
    Und was hatte Marcus Severus Secundus mit ihm zu tun?
    Sie hörte, wie Hagelkörner gegen das Fenster prasselten und sah auf. Draußen war es völlig dunkel geworden. Das Licht der Lampe spiegelte sich in der Scheibe, und plötzlich war es im Zimmer sehr kalt geworden. Sie sah zum Feuer. Bei den offenen Türen hatte der Ofen die Scheite, die sie zuvor aufgelegt hatte, schnell aufgebraucht. Übrig war nur noch Asche. Sie stand auf, legte den Reif zurück in die Schublade, verschloß sie, ging dann zum Fenster und sah hinaus. Das Glas an ihrer Stirn war kalt. Kalt und hart. Der Abend war stockfinster. Sie glaubte, trotz des Regengeprassels und des Heulen des Windes hören zu können, wie sich am Strand die Wellen brachen. Mit einem Schauder trat sie zurück und zog die Vorhänge zu. Dann machte sie an diesem Tag zum drittenmal das Feuer an.
    Erschreckt wachte sie in den frühen Morgenstunden auf. Das Schlafzimmer war kalt. Wind war aufgekommen, und sie konnte jetzt das Meer deutlich hören. Die Wellen, die sich am Strand brachen, das Stoßen und Klappern der Kieselsteine, und von der anderen Seite des Cottage œ der Westseite œ das UmsichSchlagen und Knarren der Bäume.
    Sie spähte zur anderen Seite des Zimmers. Sie hatte im Gang das Licht angelassen œ ein Überbleibsel jener alten Furcht vor der Dunkelheit und sie konnte die Umrisse der Tür sehen, die beruhigende Keilform des Lichts. Eine Minute lang lag sie einfach so da, dann langte sie nach der Nachttischlampe. Gegen die Kissen gelehnt, mit Buch und Brille unter die Decke gekuschelt, fühlte sie sich warm und sicher. Fast genoß sie es, wie der Sturm am Haus rüttelte.
    Ein Windstoß, stärker als üblich, rüttelte am Fenster, sie hörte das Stöhnen und Klappern der Scheiben, und plötzlich bemerkte sie den Geruch von nasser Erde. Bittersüß, fast widerwärtig süß, durchdringend, breitete er sich im Schlafzimmer aus. Es war der Geruch eines Gartens, von frischausgehobenen Blumenbeeten, von uralten Wäldern.
    Sie tastete nach ihrem Morgenmantel, schlüpfte in die Hausschuhe und tapste durch das Zimmer. Sie öffnete die Tür, so weit sie konnte, und spähte hinaus in den Flur. Es war eiskalt dort und unglaublich zugig. Mit

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