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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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zurückzahlen können, das er ihr schuldete. Er sah wieder auf die Uhr und rechnete träge aus, wie spät es jetzt in England war. Neun? Zehn? Jedenfalls war es Morgen. Er zog das Telefon zu sich und wählte Bills Nummer. Er mußte mit ihr sprechen. Sie fehlte ihm zu sehr.

XIII
    Die Gezeiten hatten sich geändert, aber der Wind drängte das Meer immer noch gegen die Nordostküste Britanniens. Es füllte Redall Bay und war kurz davor, die tiefliegenden Inseln zu überschwemmen, auf denen so viele Vögel nisteten. Es spülte ein riesiges Klippenstück weg, sechs Meter lang, weiter die Küste hoch bei Wrabness, und warf dabei zwei Eichen krachend in den Sand, die sich verzweifelt an den Rand von etwas, das einmal ein Wald gewesen war, geklammert hatten. Den Strand hochrollend, strömte das Meer in die Mulde bei der Düne, riß an der Erde und untergrub allmählich die Erdoberfläche bei der Ausgrabungsstelle.
    Zwei der Körper lagen aufeinander, der Mann mit dem Gesicht nach unten, das Gesicht in die durchsickernde Nässe des Lehms gedrückt, den Kopf angewinkelt, gegen die Schulter geneigt. Die Garrotte war tief in das seltsam vertrocknete Schwarz eingepreßt, von dem außer der Haut nichts übrig war. Er war nackt bis auf den Streifen hellbrauner Baumrinde, der ihm um den Arm gebunden war. Es war Rinde von der Esche; des Baumes, der sein Totem war; des Baumes, nach dem er benannt worden war: Nion.
    Die Frau lag über ihm, zusammengekrümmt, verzerrt von den Qualen, unter denen sie gestorben war. Der Stoff ihrer Kleider war seltsam unversehrt. An ein oder zwei Stellen war noch die Farbe zu sehen, wenn auch dunkler geworden durch die chemischen Prozesse der Zersetzung. Und durch das Blut. Nicht zu sehen, da es sich unter ihr befand, über dem anderen Körper, war ein Schwert. Ein kurzes Schwert, aber scharf, korrodiert zu rasierklingendünnem Metall. Ihre eine Hand umklammerte noch den Griff. Die Spitze war auf der Höhe des Brustkorbs eingedrungen, zwischen dem neunten und zehnten Rückenwirbel.

XIV
    Kate stellte am nächsten Morgen gerade das Geschirr in die Spüle, als sie zufällig aus dem Fenster schaute und Alison aus dem Wald kommen sah. Das Mädchen hatte einen leuchtend grünen Proviantsack über der Schulter, und in der Hand trug sie einen großen Kassettenrecorder. Noch erschöpft und wütend nach der unruhigen Nacht wartete Kate darauf, daß sie zum Cottage kam, aber Alison bog vom Weg ab und ging direkt auf den Schuppen zu.
    Kate trocknete sich die Hände ab und ging hinaus. Die Stürme der Nacht waren verflogen, der Tag war hell und klar, es gab nur einen leichten Südwind.
    »Guten Morgen.« Sie blieb hinter Alison stehen, als diese im Schuppen herumkramte.
    Alison zuckte zusammen. Sie drehte sich um, den Spaten in der Hand. »Hallo.« Sie schien nicht sonderlich erfreut, sie zu sehen.
    »Ich dachte, du kämst vielleicht herein, um Hallo zu sagen«, sagte Kate.
    Alison zuckte mit den Schultern. »Ich wollte vorankommen.«
    »Kann ich verstehen. Aber solltest du mir nicht zuerst ein paar Sachen erklären, wegen letzter Nacht?«
    Es war nicht leicht gewesen, nach den Störungen wieder einzuschlafen. Obwohl die Haustür verschlossen und verriegelt war und im ganzen Haus die Lichter brannten, war Kate erst etwa eine Stunde vor Tagesanbruch wieder eingedöst, und auch da hatte sie nur sehr unruhig geschlafen.
    »Wegen letzter Nacht?« Alison machte sich wieder im Schuppen zu schaffen und brachte eine Kelle und einen Besen zum Vorschein.
    »Das warst doch du, die zum Cottage raufgekommen ist.«
    »Ich?« Endlich besaß sie die volle Aufmerksamkeit des Mädchens. »Ich bin letzte Nacht nicht raufgekommen. Warum, zum Teufel, sollte ich das tun?«
    Kate runzelte die Stirn. Die weit aufgerissenen Augen sahen wirklich verdutzt drein.
    »Jemand ist zum Cottage gekommen letzte Nacht. Ungefähr um drei Uhr morgens, und ist hineingegangen. Sie müssen einen Schlüssel gehabt haben.«
    »Unheimlich.« Alison schüttelte den Kopf. »Haben sie was gestohlen?«
    »Nein.«
    »Warum haben Sie gedacht, daß ich‘s war? Ich bin kein Dieb.«
    »Ich weiß.« Kate wollte lachen, um die Stimmung aufzulockern. Aber ihr kamen plötzlich Bedenken. »Du würdest es mir doch sagen, oder? Denn wenn du es nicht warst, muß ich wissen, wer es gewesen ist.«
    »Vielleicht war es Greg. Wahrscheinlich hat er noch einen Schlüssel.«
    »Nein, es war eine Frau. Und sie hatte Erde an den Händen. Ich dachte, du hättest vielleicht wieder

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