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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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eingefallen. Danach habe ich dann die Sachen gefunden.«
    »Wieso denkst du, daß es ein römisches Grab ist?«
    »Weil man da Sachen findet. In Gräbern. Auf der Farm unseres Nachbarn gab es eine Villa. Sie ist unter seinem Acker, nicht weit von uns, und es gab eine Römerstraße zum Dorf und noch eine zur anderen Seite der Redall-Bucht.«
    »Wirklich?« Kate war fasziniert. »Können wir runter in die Mulde klettern? Dann sind wir aus dem Wind, und du kannst mir genau zeigen, wie du das Erdreich unterteilt hast.«
    Alison schien für einen Augenblick zu zögern, aber dann sprang sie doch hinunter in den weichen Sand und ging zu der von ihr freigelegten Stelle. »Ich war sehr vorsichtig, um nichts kaputtzumachen. Das Problem ist nur, daß der Sand immer wegbricht. Man kann nichts dagegen tun. Der Wind und das Meer tragen immer mehr von der Küste hier ab. Ein bißchen weiter unten, bei Redall Point, fallen am Ufer sogar Häuser ins Meer.« Sie hob vorsichtig die Hand in Richtung Sand, zog sie aber zurück, ohne ihn zu berühren. »Ich habe mein Werkzeug in Ihrem Holzschuppen gelassen.«
    »Oh, ich habe mich schon gefragt, wem der Spaten gehört.« Kate schob die Haare aus dem Gesicht, holte die Brille aus der Tasche und warf einen genaueren Blick auf die Oberfläche der Düne vor ihr. »Schau, siehst du das? Hier, und hier. Die Zusammensetzung ändert sich. Der Sand ist klebriger. Er ist fester. Ich glaube, das ist eine Art Lehm- und Torfnase. Vielleicht hast du mehr Glück, wenn du hier gräbst. Er fällt nicht so leicht auseinander.«
    »Nein.« Alison trat einen Schritt vor und untersuchte die Stelle, auf die Kate zeigte. Dann zitterte sie. Ihre Kopfschmerzen waren wiedergekommen, viel schlimmer als vorhin. »Es ist zu kalt, um heute zu arbeiten. Ich glaube, ich gehe jetzt nach Hause.« Sie drehte sich um. Als sie aus der Mulde zurück in die volle Wucht des Windes kletterten, sah Kate, wie das Mädchen einen Blick über ihre Schulter warf, hin zu der Stelle, an der sie gestanden hatten. Ihr Gesicht hatte einen sorgenvollen Ausdruck angenommen, als habe sie etwas gesehen, das sie verwirrte.
    Erst als Kate Alison durch den Wald verschwinden sah und selbst wieder im Cottage war, wurde ihr bewußt, daß sie über ihre eigenen Funde kein Wort gesagt hatte. Sie ging zurück in die Küche und sah mit Bedauern auf ihren Teller. Dann schabte sie das ungenießbar gewordene Essen in den Abfalleimer und setzte den Kessel auf. Sie hatte heute schon genug Zeit vertan. Vergiß Alison Lindsey und ihr Römergrab. Heute nachmittag mußte sie zurück in die Welt der kalten, düsteren Zimmer in Aberdeen, wo der junge George Gordon auf den Knien seines Kindermädchens die Bibel kennenlernte, und noch vieles andere.
    Kate hatte die Augen auf den Bildschirm ihres Laptop geheftet und bemerkte nicht, wie es im Zimmer dunkel wurde. Ihre Finger waren verkrampft; ihre Arme steif und schwer, und irgendwo zwischen ihren Schulterblättern gab es eine kalte Stelle, die ziemlich schlimm zu schmerzen begonnen hatte. Sie nahm die Brille ab, streckte die Hände aus und lockerte die schmerzenden Finger. Das Feuer war ausgegangen, das Zimmer eisig. Sie stellte sich auf die steifen Füße, erledigte, inzwischen routinemäßig, das Anzünden, Füllen und Schließen des Ofens und blieb dann einen Moment lang stehen, um das geschwärzte Glas der kleinen Türen zu betrachten. Sie hatte alles automatisch gemacht, in Gedanken noch bei Catherine Gordon und May Grey und ihren sprunghaften, verwirrenden Beziehungen zu dem Jungen, um den sie sich zu kümmern hatten, Beziehungen, von denen er fürs Leben gezeichnet werden sollte.
    Davon überzeugt, daß das Feuer jetzt richtig brennen und sie wärmen würde, ging sie zurück zum Tisch und setzte sich, um die Arbeit des Nachmittags durchzulesen.
    Mögen die Götter dich bis in alle Ewigkeit verfluchen, Marcus Severus Secundus, und deinen fauligen Körper und deine verdorbene Seele richten für das, was du heute hier getan hast…
    Sie starrte mit leerem Blick auf diese Worte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sie geschrieben zu haben. Sie hatte sie nicht geschrieben. Plötzlich tauchten sie in ihrem Text auf, willkürlich, mitten in einer Beschreibung von Aberdeen im 18. Jahrhundert.
    Sie schob den Stuhl zurück und erhob sich abrupt, dabei bemerkte sie, wie ihre Hände zitterten. Sie wandte sich vom Bildschirm ab und ging zurück zum Ofen. Sie machte die Türen auf und kniete mit ausgestreckten Händen

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