Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
Vom Netzwerk:
bringen.
    Ein wenig schneller, als sie normalerweise gegangen wäre, marschierte sie Richtung Cottage. Nur einmal warf sie einen Blick zurück. In der Mulde, in der sie gestanden hatte, wirbelte der Wind den Sand auf, von Licht durchstrahlt. Es sah fast aus wie eine Gestalt. Dann verschwand die Erscheinung.
    Sie schloß die Tür auf und ging aus dem Wind hinein in das Cottage, schüttelte die Haare aus dem Gesicht und setzte den Wasserkessel auf. Ihren Fund hatte sie auf den Küchentisch gelegt, noch bevor sie Jacke und Stiefel ausgezogen hatte. Während das Wasser kochte, ging sie zum Telefon, doch bei den Lindseys nahm niemand ab.
    Sie trug ihren Kaffee und ihre beiden Fundstücke ins Wohnzimmer und stellte alles auf den Arbeitstisch. Unwillkürlich schaltete sie den Computer an. Während sie wartete, bis das Programm geladen war, nahm sie den Halsreif in die Hand und untersuchte ihn aufs neue. Er war groß, groß genug für den Nacken eines erwachsenen Mannes, und trotz der Korrosion noch immer schwer, oder vielleicht gerade deshalb. Sie starrte ihn lange Zeit an, legte ihn dann vorsichtig auf das Fensterbrett, bevor sie sich an ihre Tastatur setzte.
    Als sie das nächstemal aufsah, war es fast ein Uhr. Diesmal war Diana zu Hause, als sie anrief. Ihre Erkundigung nach den Grabungen am Strand wurde einen Moment lang mit verlegenem Schweigen aufgenommen.
    »Heute morgen waren Sie dort, sagen Sie?« fragte sie vorsichtig.
    »Ja, als ich einen Spaziergang am Strand machte.«
    »Das wird der Platz sein, wo meine Tochter ein bißchen herumgegraben hat. Es ist für ein Archäologie-Referat in der Schule. Mit einer anerkannten Fundstätte hat das nichts zu tun.«
    »Verstehe.« Kate runzelte die Stirn. Sie konnte die Abwehr in der Stimme Dianas spüren. »Ich frage nur, weil es mir scheint, daß es sich da um -« Ihr Blick wanderte zur Tür, die in die Diele führte. Sie konnte das Fensterbrett, auf dem ihre Funde lagen, nicht sehen. »Ich habe mir gedacht, daß sich da vielleicht mal ein Wissenschaftler umschauen sollte. Es könnte sich um eine wichtige Fundstätte handeln.«
    »Glauben Sie mir, Alison hat das gut im Griff. Das ist allein ihre Sache, Kate.« Dianas Stimme nahm eine ungewohnte Härte an. »Bitte überlassen Sie das ihr.«
    Und stecke deine Nase nicht in fremde Angelegenheiten! murmelte Kate, als sie den Hörer auflegte. Sie schlenderte zurück ins Wohnzimmer und betrachtete den metallenen Halsreif. Wenn Alison das Museum informierte, war das in Ordnung. Sie würde ihnen dann auch ihre beiden Trophäen zeigen. Sie nahm das Stück gewundenen Metalls in die Hand und untersuchte es erneut. Es war stark verrostet und verbogen, aber die ineinander verschlungenen Metallstränge waren deutlich zu erkennen. Sie kratzte vorsichtig mit dem Fingernagel daran. Ein blaßer Schimmer kam zum Vorschein. Sie zögerte, kratzte dann wieder, dieses Mal fester. Ein silbriges Funkeln. Ja, es war Silber. Sie hielt einen silbernen Halsreif in der Hand.
    ICH VERFLUCHE DICH, MARCUS SEVERUS, FÜR DAS, WAS DU HEUTE HIER GETAN HAST.
    Die Stimme kam so plötzlich und war so laut, daß sie den Halsreif auf den Tisch fallen ließ. Sie schüttelte wie wild den Kopf. Das Geräusch war hinter ihren Ohren gewesen; es kam aus ihrem Gehirn. Aus ihrem Kopf. Aus ihrer Seele. Verängstigt starrte sie im Zimmer herum. Dann holte sie tief Luft und nahm das gewundene Metall wieder in die Hand. Es fühlte sich sehr kalt an unter ihren Fingern. Genauso kalt wie in dem Augenblick, als sie es das erstemal vom nassen Sand aufgehoben hatte.
    »Das ist doch blöd.« Sie sprach die Worte laut aus, aber im leeren Zimmer klang ihre eigene Stimme hell und nicht sehr kräftig. Sie trug den Halsreif und das Tonstück zu dem kleinen Tisch in der Ecke, auf dem die Lampe stand, zog die Schublade auf und legte beides hinein. Sie schob die Lade fest zu und drehte den Schlüssel um.
    Wahnvorstellungen des Gehörs werden durch verschiedene Geisteszustände und verschiedene physische Voraussetzungen hervorgerufen. Sie hatte in einem von Annes Büchern etwas darüber gelesen. Aber was davon, wenn überhaupt, traf auf sie zu? Sie nahm die Flasche Scotch, ging hinüber in die Küche und machte die Tür fest hinter sich zu. Das erste, was sie tun konnte, war ihren Blutzuckerstand normalisieren. Vielleicht würde ein warmes Mittagessen vertreiben, was auch immer diese Wahnvorstellungen verursachte.
    Sie saß an dem kleinen Küchentisch, vor sich ein aufgestelltes Buch, und

Weitere Kostenlose Bücher