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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Als sich ihre Blicke trafen, grinste er, die Augen silbern in einem gebräunten, wettergegerbten Gesicht. »Klein Allie hat sich in die Klemme gebracht, was?« fragte er.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Halb so wild. Aber sie sollte lieber zu Hause sein.«
    Sie folgten Diana ins Wohnzimmer und fanden sie über Alison gebeugt. Diana hielt ihre Hand. »Ich bin okay, Mum. Ehrlich.« Das Mädchen sah bleich und abgespannt aus, aber ihre Stimme hatte etwas von ihrer Stärke wiedergewonnen, und damit auch ihre Brummigkeit. »Macht kein Theater. Bringt mich einfach nur heim.«
    »Aber was ist passiert, Allie?« Roger schob die Decken beiseite und setzte sich. »Komm schon, du mußt es uns sagen.«
    Alison schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht sicher. Ich bin zum Grab gegangen. Ich wollte es sehen. Es war früh. Es war noch dunkel.«
    »Du bist da rausgegangen, als es noch dunkel war!« wiederholte Diana schockiert.
    Alison nickte. »Ich weiß nicht, warum. Es war einfach etwas, das ich tun mußte. Ich nahm eine Taschenlampe. Der Wald war kalt und naß. Es war sehr dunkel, und ich hatte Angst.« Ihre Stimme bebte. »Als ich zum Cottage kam, sah ich, daß alle Lichter brannten. Da fühlte ich mich besser. Ich dachte, ich würde klopfen und Kate bitten, mitzukommen. Aber ich konnte nicht.« Sie brach in Tränen aus. »Ich wollte es, aber ich konnte nicht.«
    Kate starrte sie entsetzt an. »Allie, warum denn nicht? Ich wäre doch mitgekommen.«
    »Ich meine nicht, daß ich nicht konnte, weil ich nicht wollte. Ich wollte schon, aber sie ließ mich nicht.«
    Einen Moment lang waren alle still. Kates und Rogers Blicke trafen sich. Er sah nachdenklich aus; sie nahm an, daß Patrick ihnen schon von Claudia erzählt hatte.
    »Wer ließ dich nicht, Allie?« fragte Diana freundlich.
    »Jemand. Sie. Ich weiß nicht. Er will, daß ich aufhöre, aber sie will mir etwas sagen. Sie kämpfen miteinander in meinem Kopf.« Sie legte ihre Handballen an die Schläfen, immer noch weinend. »Sie will, daß ich es weiß.«
    »Sie will, daß du aufhörst, das Grab freizuschaufeln?« warf Patrick von der Tür her ein. »Das ist es, oder?«
    »Nein.« Allie setzte sich auf. »Nein, gerade nicht. Sie will, daß ich es tue. Sie will, daß ich hingehe. Sie will, daß ich etwas finde… irgendwas.« Sie legte sich wieder zurück.
    »Nun, was immer auch passiert ist, ich schlage vor, wir bringen dich erst mal nach Hause, junge Dame«, warf Joe Farnborough von der Tür aus ein. »Ich will ja nicht drängeln, Leute, aber ich muß noch in die Stadt.«
    »Natürlich, Joe. Entschuldige. Es war wirklich nett von dir, daß du gleich gekommen bist.« Diana wurde geschäftig. »Roger, kannst du sie tragen?«
    »Nicht nötig, Mum. Ich kann gehen.« Alison schniefte erbärmlich, schwang die Beine über den Rand des Sofas und stand auf.
    Kate sah zu, wie sie zur Tür hinaus und zum Rücksitz des Wagens geleitet wurde œ ein Modell, das noch altertümlicher und dreckbespritzter war als das der Lindseys.
    Es war Patrick, der sich umdrehte und sie ansah. »Dad. Kann Kate mitkommen? Ich glaube nicht, daß sie jetzt allein bleiben sollte.«
    Roger drehte sich zu ihr um. »Natürlich. Gar keine Frage. Sie müssen mitkommen, liebe Kate. Wir müssen über all das sprechen. Und auf jeden Fall müssen wir melden, daß Ihr Telefon gestört ist, und es reparieren lassen, bevor Sie hier wieder wohnen können.« Er nahm ihre Jacke vom Haken hinter der Tür und hielt sie ihr hin.
    Kate schloß erleichtert die Augen. Einen Moment lang hatte sie gedacht, sie würden ohne sie gehen, und sie hatte gewußt, daß sie nicht die Willensstärke haben würde, ihnen hinterherzurufen. Der Drang, im Cottage zu bleiben, war so stark wie der, es zu verlassen. Sie ging zurück in das Zimmer, um die Lichter auszumachen. Sie schloß die Ofentüren und blickte sich um. Das Wasser auf dem Fensterbrett hatte begonnen, unter dem Tuch zu versickern. An seinem Rand konnte sie ein paar dunkle Erdstücke sehen, und dort, im Schatten, wand sich etwas Kleines und Weißes zielsicher auf den Rand des Fensterbretts zu. Sie drehte sich abrupt um und packte ihre Umhängetasche. Sie nahm auch den Stapel Manuskriptseiten von ihrem Tisch mit, und dazu die Diskette aus ihrem Computer. Dann folgte sie Roger nach draußen und schlug mit einem Knall die Tür hinter sich zu.

XXX
    Diana war nach unten gegangen. Alison vergrub sich in ihrem Bett. Neben ihr, nicht zu sehen unter dem Federbett, lag ein alter, abgegriffener

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