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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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als lebte ich in Fort Knox.«
    »Ich stimme zu, was das Auffüllen des Grabes angeht«, warf Roger ein. Er lehnte sich bequem auf dem Sofa zurück. »Es hat nichts als Ärger gegeben, seit Allie diesen Platz gefunden hat. Ich schlage vor, wir bitten Joe, mit dem Bulldozer raufzukommen und alles einzuebnen.«
    »Nein!«
    Kate hatte nicht gemerkt, daß das Wort aus ihrem eigenen Mund gekommen war, bis alle sie anstarrten. »Nein«, wiederholte sie leiser. »Ich finde nicht, daß wir das tun sollten. Es ist eine wichtige Fundstätte. Am besten melden wir es bei der örtlichen archäologischen Vereinigung oder dem Museum, damit sie schnell rauskommen und feststellen, was da wirklich ist.«
    »Ich glaube nicht, daß wir wissen wollen, was da wirklich ist«, sagte Greg schroff. »Du stimmst mir doch zu, Dad? Allie ist jetzt schon durcheinander genug.«
    »Sie ist nicht durcheinander, was die Vorstellung angeht, daß es sich um ein Grab handelt«, erwiderte Kate.
    »Entschuldigen Sie, aber ich glaube doch. Nach außen hin ist sie vielleicht ein lästiges, aufdringliches Kind, und sie hat bestimmt jede Menge Mumm, aber innerlich ist sie verletzt und leidet. Die ganze Sache nimmt sie sehr mit. Sie haben selbst gesehen, wie sehr ihre Phantasien sie aufgeregt haben. Das alles schadet ihr nur. Ma«, er wandte sich hilfesuchend an seine Mutter, »du mußt mich unterstützen.«
    Diana blickte ihn nachdenklich an. Sie hatte den ganzen Wortwechsel schweigend angehört. »In gewisser Weise habt ihr beide recht. Sie ist besessen von diesem Ort, und ich glaube nicht, daß das gut für sie ist. Aber ich glaube auch nicht, daß die richtige Antwort darin besteht, daß man versucht, es wieder zuzuschütten. Es wäre dann noch immer da, und sie wüßte es.«
    Kate nickte. »Besser, wir lassen es richtig ausgraben œ eine Rettungsgrabung kann schnell organisiert werden. Dann kennen wir alle die Wahrheit.«
    »Die Wahrheit worüber?« Gregs Stimme klang sehr ruhig. »Was daran ist so wichtig, daß wir es unbedingt wissen müssen? Ich glaube nicht, daß es da irgend etwas gibt, was wir unbedingt wissen müßten. Nicht das Geringste.«

XXXI
    Das Licht war seltsam kalt. In der kühlen Dämmerung vor Sonnenaufgang war der Sumpf in einen fahlen Nebelschleier getaucht, der sich lautlos wie ein erstickendes Leichentuch über das Gras und das Schilf legte.
    Nion stand am Rand des Teichs. Gebadet und in seine besten Kleider gehüllt, war er bereit. Hinter ihm standen die beiden Priester. Ihr Handwerkszeug lag vor ihnen auf einem Altar: eine Garrotte und ein Messer. Sie warteten jetzt, im Gebet, und beobachteten ihn. Sie respektierten seine Vorbereitungen. Wenn er soweit war, würde er es ihnen sagen.
    Er runzelte die Stirn. Warum nur zwei Priester? Er hatte mit allen gerechnet, mit einem ganzen Kreis von Teilnehmern, und nicht mit dieser stillen, beinahe schäbigen Veranstaltung, ohne Zeugen und unbesungen. Langsam machte er sich an die Vorbereitungen. Um den Nacken trug er zwei Halsringe. Einen breiten, gewundenen Halsring aus Gold, das Symbol seines königlichen Blutes und seiner Priesterwürde, und dar unter einen aus verziertem Silber, den Claudia ihm geschenkt hatte.
    Er nahm den ersten, zog das schwere Gold über seine warme Haut, spürte das Gefühl der Enge, schluckte, verscheuchte aus seinen Gedanken, was noch kommen würde, betrachtete den Halsring in seinen Händen, strich mit den Fingern behutsam über das kunstvolle Muster auf dem Metall, bewunderte es zum letzten Mal. Es war wahrlich ein würdiges Geschenk an die Götter. Er hob es hoch über seinen Kopf, erwartete fast, daß sich ein verfrühter Strahl der Sonne, die sich noch versteckt hielt, verirren und auf das glänzende Metall fallen würde. Es kam keiner. Er murmelte die Worte der Opfergabe und schleuderte den Reif dann mit all seiner Kraft in das vom Nebel bedeckte Wasser. Er ging vor ihm in die jenseitige Welt ein. Als nächstes kam der silberne Reif. Nion zog ihn sich vom Hals, berührte ihn mit den Lippen, schleuderte ihn dann dem ersten hinterher. Dann drehte er sich um und bückte sich nach seinen Waffen. Schwert, Speer, Dolch. Eine nach der anderen hob er sie hoch zum Zeichen des Opfers, hielt sie auf seinen Handflächen im Gleichgewicht und warf sie ins Wasser. Unter dem gewellten Weiß des Nebels gingen sie im kalten braunen Sumpf unter und versanken unaufhaltsam.
    Nun kamen seine Kleider. Er löste seinen Umhang, faltete ihn sorgfältig zu einem möglichst kleinen

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