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Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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unrasiert war. Die Bartstoppeln hatten eine kräftige, goldene Farbe, viel heller als seine Haare.
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich frage mich nur, ob es vielleicht von etwas ausgehen könnte, das hier begraben ist.« »Ding oder Mensch?«
    »Ein Mensch, fürchte ich.«
    »Aber wir können uns nicht sicher sein. Und genau darum sollten wir versuchen, es herauszufinden.« Da war wieder das leichte Prickeln der Erregung, als seine Hand ihre Schulter streifte.
    Er griff nach dem Photo. »Ich glaube, wir können uns sicher sein, Kate. Schauen Sie sich das andere da an. Mal sehen, was Sie denken.« Er wandte sich zum Schreibtisch und begann, die Photos durchzusuchen. »Hier. Sehen Sie sich diese Ecke an. Auf der Oberfläche des Sandes.« Auf seinem Zeigefinger war ein körniger, kobaltblauer Farbklecks. Als sie das Photo nahm, berührte ihre Hand unabsichtlich die seine. Er zog sie nicht zurück.
    Sie starrte durch das Vergrößerungsglas. Wütend bemerkte sie, daß ihre Hand plötzlich zitterte. »Was soll ich hier sehen?
    Es gibt keinen Sandteufel auf dem hier.«
    »Da. Augenblick, ich deute mit dem Bleistift darauf. Sehen Sie.« Sie bemerkte, daß auch die Bleistiftspitze leicht zitterte.
    Sie kniff die Augen zusammen, starrte auf die feine Auflösung des Photos. Der Sand, die Linien des Torfs, die Muscheln, alles war überraschend deutlich, und am Rand des Photos stand etwas aus dem Sand vor.
    »Mein Gott!« flüsterte sie.
    »Es ist eine Hand, nicht wahr«, sagte Greg leise.
    Sie sah ihm in die Augen. »Haben Sie das da hingetan?« Ihre Gesichter waren nur einen halben Meter voneinander entfernt. »Nein.«
    Dieses Mal glaubte sie ihm. Plötzlich gab es nicht mehr die Spur eines Zweifels für sie. Sie spürte, wie die feinen Haare auf der Rückseite ihres Handgelenks zu Berge standen, während sie das Photo hielt. »Wir müssen raus und nachsehen.«
    »Ja.«
    »Was haben Sie Allie wegen der Photos gesagt?«
    »Daß ich sie zu spät für den Ein-Stunden-Service hingebracht habe und daß es deshalb ein paar Tage dauern würde. Sie wirkte ziemlich erleichtert.«
    »Sie hat eine Heidenangst vor dem Ort. Sie will nichts mehr damit zu tun haben«, sagte sie nachdenklich. »Und trotzdem will sie immer noch, daß die Ausgrabung gemacht wird. Das ist eigenartig. Und gefährlich.«
    Er nickte. »Also stehen wir auf derselben Seite.«
    »Ist es eine Frage der Seite?« Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, Greg. Das Grab muß untersucht werden, das ist Ihnen doch sicher klar. Wenn es da am Strand eine Leiche gibt, muß zuerst einmal der Leichenbeschauer informiert werden, ganz egal, wie alt sie ist. Und wahrscheinlich auch die Polizei, könnte ich mir vorstellen.«
    »Es handelt sich doch wohl kaum um die Untersuchung eines Mordes!«
    Er hatte es lachend gesagt, warf den Kopf zurück und nahm ihr das Photo aus der Hand. Aller Ärger war verflogen, seine Gedanken eine Mischung aus geheimen Intrigen und einem Bulldozer, Kaffee in der Küche und der Frau, die so nah bei ihm stand. Plötzlich fiel ihm auf, daß sie sehr schön war, wenn sie sich nicht gerade so aufführte.
    Das plötzliche Fallen der Temperatur überraschte beide. Es war, als hätte jemand in der Nähe eine Gefriertruhe aufgemacht.
    Einen Moment lang war die Atmosphäre im Zimmer elektrisch geladen.
    »Marcus.«
    Das geflüsterte Wort kam aus Kates Mund. Ohne es zu merken, hatte sie seinen Arm umklammert. »O mein Gott, Greg, was ist das?«
    Er schüttelte den Kopf. »Weiß der Teufel. Los, kommen Sie.
    Offensichtlich haben wir irgendwo einen heiklen Punkt berührt. Gehen wir raus hier. Und kein Wort zu den anderen. Noch nicht.« Er öffnete die Tür und ging voraus in die Diele. Sie folgte ihm, nicht ohne dabei einen Blick über die Schulter zu werfen. Das Zimmer sah völlig normal aus. Es gab nichts, was ihnen hätte Angst machen können. Nicht das Geringste, was ungewöhnlich gewesen wäre. Auch die Temperatur hatte sich ihrer Meinung nach nicht verändert. Nur eines fiel ihr auf, was sie schaudern ließ. Der Geruch von Farbe, Lack und Leinöl schien völlig ausgelöscht durch den alles durchdringenden Geruch von nasser, kalter Erde.

XXXV
    Ihre Augen waren durch ihre Tränen geblendet, als sie mit zitternden Händen den Holunderbusch teilte und hindurchblickte. Sie konnte ihn ein paar Meter entfernt stehen sehen. Er war jetzt nackt, hatte die Arme zum Gruß gen Norden zum Himmel gehoben, die Fäuste gegen die blutroten Wolken geballt. Hinter ihm

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