Erst der Sex, dann das Vergnügen: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Leitung allmählich so weit war, machte sie dringende und eindeutige Handbewegungen, und ich versuchte Gas zu geben, schneller, schneller – Charlotte riss die Arme hoch, geschafft: juhu! Und ich auch: Toor! Und dann kam sie durch die Glastür, um mir Highfive zu geben, ein bei Charlotte sonst eher verpönter Ausdruck proletarischer Begeisterung.
Auch heute kamen wir gar nicht dazu, die Kopfhörer abzunehmen. Und das Beste war – man konnte allerhand nebenbei erledigen. Charlotte hatte die nackten Füße auf den Schreibtisch gelegt, um sich die Zehennägel in einem sanften Perlmutt zu lackieren, und ich war dabei, mit den Fetzen von Krimis zerschnippeltem Pelzmantel versuchsweise die Kapuze einer Babystrickjacke einzufassen. Ein Einzelstück – für eines meiner Babys.
Es war Viertel vor elf, und der Laden brummte. Charlotte überließ mir von ihren Einnahmen fünfzehn Prozent, als Provision sozusagen. Noch vier Wochen in diesem Tempo, und ich hatte die Summe, die ich brauchte, um mit Cesare einig zu werden. Und wenn ich nach der Geburt weiterhin zweimal pro Woche die Nacht durchtelefonierte, würde ich es mir wahrscheinlich leisten können, Marie weiter als Verkäuferin anzustellen. Und so Familie, Firma und Finanzen unter einen Hut zu bringen.
Großartig.
Mein Plan ging auf, und ich war unabhängig wie nie zuvor.
Auch ohne Mann an meiner Seite.
34
Irgendwann hörte ich auf, die Tage zu zählen, an denen ich mein neues Hinterhofapartment nur verlassen hatte, um mit dem Taxi zur Ultraschallkontrolle zu fahren. Die Zeit verging vom Sofa aus wie im Flug. Der Sommer schien ein Jahrhundertsommer zu sein. Jedenfalls hatte ich Tag und Nacht das Fenster offen, und so gut wie nie schlug Regen gegen die Scheiben. Ich fand meinen Job immer noch spannend, und die Telefonkontakte gaben mir das Gefühl, trotzdem mitten im Leben zu stehen. Und ich verdiente so gut, wie ich noch nie in meinem Leben verdient hatte. Am Stand der Sonne in meinem kleinen Hinterhof und an Charlottes Outfits sah ich, wie die Wochen vergingen, und wenn man nach dem, was sie heute trug – die Haare mit einem blauweiß gepunkteten Seidentuch hochgebunden und die geraden Schultern mit einem schulterfreien marinefarbenen Top betont –, war es entweder Kieler Woche oder ein warmer Spätsommer. Ob Charlotte das Top klassisch mit Leinenhose oder gewagt mit einem kurzen Rock kombiniert hatte, konnte ich nicht sagen, denn ich sah nur ihren Oberkörper. Und rechts daneben den von Friedrich, denn die beiden steckten vor meinem Fenster die Köpfe zusammen und nahmen mir den letzten Rest Tageslicht, den mir die üppige Bepflanzung der Blumenkästen noch gelassen hatten. Friedrichs Anblick versetzte mich in eine Art Erregungszustand, von seinem Pferdeschwanz mal abgesehen tat es gut, einen richtigen Mann zu sehen und nicht immer nur mit Phantomen zu telefonieren.
Charlotte und Friedrich sind praktisch gleich groß, dachte ich und spürte einen plötzlichen Stich von Eifersucht, und sie können während Charlottes Mittagspause einfach so in der Sonne herumstehen und sich unterhalten! Und ich bin hier weggesperrt, habe den Sommer komplett verpasst − und dafür die hefebleiche Hautfarbe eines Germknödels!
»Na, ihr zwei«, sagte ich deshalb gespielt sonnig, gut, dass ich die Fensterflügel vom Sofa aus nach innen öffnen konnte, ich musste mich nur auf die rechte Armlehne stützen und nach vorne lehnen, »darf ich bei eurem Meeting auch mitmachen?«
Charlotte zuckte zusammen und rückte ein Stück von Friedrich ab.
»Von wegen Meeting! Sollten Sie mir nicht eine Gießkanne besorgen? Und zwar nicht so ein Plastikding, sondern ein kleines Modell aus Zink?«, zickte sie ihn an. »Das hatten wir doch eigentlich für heute Morgen ausgemacht, ich habe Ihnen doch letzte Woche schon die Adresse von Antike Gartenaccessoires im Grunewald gegeben, nicht wahr? Glauben Sie ja nicht, dass ich sie dorthin begleite! Das können Sie hübsch alleine!«
Und als sich Friedrich wortlos und kopfschüttelnd zum Gehen wandte, murmelte sie sogar noch ein »Jetzt aber bisschen plötzlich!« hinter ihm her, böse in die Richtung starrend, in die er verschwunden war.
»Hoppla«, entschuldigte ich mich, »ich wusste nicht, dass ihr gerade eine Krisensitzung hattet.«
»Krisensitzung? Eine Krise ist mir so ein Bauernbursche garantiert nicht wert. Pah!«, machte Charlotte mit einer nachlässigen Handbewegung.
Ich verstand ihren Hochmut nicht: »Ich weiß gar nicht, was du
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