Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kutzmutz
Vom Netzwerk:
konnte.«

Aufgabe:
    Lesen Sie Hemingways Erinnerungs-Buch und besorgen Sie sich einige Fotografien von Außen-und Innen-Ansichten Pariser Cafés. Schreiben Sie eine Story, die in den zwanziger Jahren in einem dieser Cafés spielt und in denen Hemingway einem mit dem Schreiben nicht weiter vertrauten anderen Gast die Geheimnisse des Schreibens erklärt!

PAUL BRODOWSKY
    Das Zittern der Bilder
    Peter Handke: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter [1970]
    Beim Lesen notiere ich mir, was man Mikrobeobachtungen nennen könnte: »Er sah zwei Bauern in der Tür eines Geschäfts einander die Hand geben; die Hände waren so trocken, dass er sie rascheln hörte.« – »Erst jetzt fiel ihm auf, daß er, wie in einem Zwang, zu jedem Gegenstand das Wort dazudachte. Jedem Ansichtigwerden eines Gegenstands folgte sofort das Wort nach. Der Stuhl, der Kleiderbügel, der Schlüssel. Es war früher so still geworden, daß keine Geräusche mehr ihn ablenken konnten; und weil es einerseits so hell war, daß er die Gegenstände ringsherum sah, und andrerseits so still, daß keine Geräusche ihn davon ablenken konnten, hatte er die Gegenstände so gesehen, als ob sie gleichzeitig Reklame für sich selber seien.« – »Ein Geräusch, wie wenn ein Stück Fleisch auf den Steinboden fiel; er schaute auf und sah, daß der nasse schwere Ball einem Spieler vom Kopf geprallt war.«
    Die Angst des Tormanns beim Elfmeter ist eine endlose Kaskade solcher überpräzisen, seltsam zitternden Mikrobeobachtungen. Das Buch kommt fast ohne vorwärtstreibende Handlung aus; trotzdem entwickelt es eine enorme Spannung. Was es an Plot gibt, ist simpel und lässt sich in einer Handvoll Sätzen nachzeichnen: Der Monteur Josef Bloch versteht eine Geste seines Poliers als eindeutigen Hinweis auf seine unmittelbare Entlassung. Er verlässt daraufhin sofort seinen Arbeitsplatz und streift ziellos durch die Stadt, treibt sich in Hotels, Kinos und auf dem Naschmarkt herum; er schläft mit einer Kinokassiererin, die er am Morgen nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht erwürgt. Dann fährt er mit einem Autobus zu einem Ort an der Grenze. Dort läuft er weiter ziellos herum und gibt sein letztes Geld aus. Durch Zeitungsberichte erfährt er, dass die Indizien in dem Mordfall an der Kinokassiererin immer deutlicher in seine Richtung weisen. Das Buch endet damit, dass Bloch bei einem Fußballspiel zuschaut.
    Durch solch eine Zusammenfassung ist wenig über die Erzählung gesagt; die einleitenden drei Zitate geben eine viel genauere Vorstellung davon, was dieses Buch ausmacht, als die schnöde Angabe des handlungsarmen Inhalts. Für die Erzeugung der Spannung ist nicht das Was , der Plot, entscheidend, sondern das Wie , die Machart des Textes.
    Die Geschichte ist bis auf die beiden Handlungsmomente ‚Entlassung‘und ‚Mord‘beinahe statisch: hundertzwanzig Seiten Handlungsarmut. Dem entspricht, dass die neben Bloch auftretenden Figuren lediglich Inventar sind; ich kann sie kaum als Figuren bezeichnen, sie unterscheiden sich wenig von den in der vergangenen Nacht ausgespuckten und noch immer auf dem Gehsteig herumliegenden Hülsen der Weintrauben, von den urinschwarzen Bretterwänden am Naschmarkt, dem Aufklatschgeräusch des nassen Balls; keine Figurenhandlung also, keine zwischenmenschliche Interaktion. Wollte man die Erzählung verfilmen, so müsste man lauter stehende Bilder zeigen, nichts schösse in die Bilder ein, keine Spannungsmomente seitlich des Bildes. Stattdessen statische Einstellungen, Gänge vielleicht, aber keine dialogische Bildauflösung, kein Schuss – Gegenschuss. Was bleibt, ist Bloch, die Hauptfigur. Aber genauso wie ich zwischen den Figuren keine Spannung, kaum Handlung erlebe, hat die Erzählung keinen starken Helden, der sich durch die Welt schlägt; und auch keinen tragischen Anti-Helden, der – von seiner Umwelt oder den sogenannten Verhältnissen eingeschnürt, bedrängt – zur tragischen Handlung gezwungen wird. Anders gesagt: Die Erzählung ist anti-psychologisch. Der Moment der größten Handlungsintensität – der Mord der Kinokassiererin Gerda – erscheint willkürlich, beinahe vollständig unmotiviert: »Einige Zeit verging mit dem Umdrehen und Wechseln der Platten. Sie stand auf und legte sich aufs Bett; er setzte sich dazu. Ob er heute zur Arbeit gehe? fragte sie. Plötzlich würgte er sie. Er hatte gleich so fest zugedrückt, daß sie gar nicht dazu gekommen war, es noch als Spaß aufzufassen.« Es gibt direkt vor dem Mord lediglich

Weitere Kostenlose Bücher