Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
Außenseiter-Status der jungen amerikanischen Schriftsteller in einer für sie fremden und ungewohnten Umgebung, um sich gegenüber den bereits klassisch werdenden Themen der europäischen Moderne blind zu stellen. Nicht auf die Darstellung von Isolation, Entfremdung und Krise kam es ihm daher an, sondern, ganz im Gegenteil, darum, solche Kernbegriffe und typischen Existentialia des modernen Artisten-Lebens in gespielter Unschuld ins Positive zu wenden. Die Methode, die er sich für diese Umwertung ausdachte, war die des naiven, touristischen Blicks, der Isolation, Entfremdung und Krise wie bestaunenswerte Symptome eines fremden Volkes studierte, sie als bloße Gegenstände des literarischen Studiums dann aber auch gleich wieder ad acta legte. Was sich statt der sonst überall vorherrschenden Depression in den Kreisen um den jungen Außenseiter breitmachte, war vielmehr eine beinahe ungebremste Freude am Leben, ja eine Feier seiner vitalen Impulse, die den Pariser Lebensraum zu einem einzigartigen, erotischen und sexuellen Stimulans-Raum machten.
Heute glaube ich, daß es genau diese hymnischen Momente waren, die Hemingways Paris – ein Fest fürs Leben für mich eben nicht nur zu einer Bibel des Schriftsteller-Handwerks, sondern weit darüber hinaus zur Bibel einer schriftstellerischen Lebenskunst machten. Die Grundlagen dieser Lebenskunst hatte ich in den frühsten Spaziergängen und Reisen noch nichtsahnend von meinem Vater gelernt, sie hatten mit dem Umgang mit anderen Menschen, mit dem Umgang mit der Natur, ja mit dem Umgang mit all den Dingen zu tun, um derentwillen man das Leben für lebenswert hielt. Schönheit, Daseinsfreude, Genuß – das waren gleichsam die ästhetischen, Hemingwayschen Varianten jener elementaren Umgangsformen, von denen die Schriftsteller nach den Vorstellungen meines Vaters berichten sollten. In diesem Sinn überhöhte Hemingways Buch von der schriftstellerischen Praxis die Praxis des Umgangs mit der Welt, wie ich ihn auf den Spaziergängen und Wanderungen mit meinem Vater immer wieder erlebt hatte. Letztlich waren es daher vielleicht die kleinen und unscheinbaren Momente, die einen so außerordentlichen Reiz auf mich ausübten, Momente, in denen ich lernte, wie Hemingway mit seinen Lehrern, Freunden, seiner Frau oder seinem ersten Kind umging, Momente, in denen ich ihn bei jener Versenkung in die schlichtesten aller auftreibbaren Speisen genau so aufmerksam erlebte, wie ich meinen Vater auf unseren gemeinsamen Reisen immer wieder erlebt hatte: »Das Bier war sehr kalt und trank sich wunderbar. Die pommes à l‘ huile waren fest und gut mariniert und das Olivenöl köstlich. Ich zermahlte etwas schwarzen Pfeffer über den Kartoffeln und tunkte das Brot in das Olivenöl. Nach dem ersten tiefen Zug Bier trank und aß ich sehr langsam. Als die pommes à l’huile alle waren, bestellte ich mir noch eine Portion und eine cervelas. «
IV.
In demselben Jahr, in dem Hemingways Paris – ein Fest fürs Leben auf Deutsch erschien, erschien auf Deutsch auch das Erinnerungs-Buch eines seiner besten Freunde. A. E. Hotchner hatte diesem Buch den Titel Papa Hemingway gegeben und darin von seinen Zusammenkünften mit Hemingway in der Zeit von 1948 bis zu dessen Tod 1961 berichtet. Ich weiß noch, für wie abgeschmackt ich damals den Titel dieses Buches hielt, Papa Hemingway war als Titel nicht nur anbiedernd und geschmacklos, sondern berührte darüber hinaus auch auf empfindliche Weise jene Nähe, die mich mit Hemingway und seinen Büchern verband. Diese Nähe war – anders als im Fall Hotchners- nicht die Nähe zu Papa Hemingway, sondern die Nähe zu einem Vater, ja, Hemingway hatte mir als mein literarischer Vater den eigenen Vater gleichsam in einem erweitertem Leben und auf einer erweiterten Stufe wiedergeschenkt. Die Prosa meines Vaters war die Prosa einer Überschneidung und einer Verschmelzung und letztlich sogar einer Symbiose und daher viel mehr als die Prosa eines Vorbilds, dessen man sich mehr oder minder zufällig als junger Schriftsteller bediente, um das eigene Schreiben etwas voran zu bringen. Wenn ich die Magie dieser Symbiose wieder spüren wollte, brauchte ich Paris – ein Fest fürs Leben nur an irgend einer beliebigen Stelle aufzuschlagen. Dann wanderte mein Blick über eine Seite und blieb irgendwo hängen, irgendwo bei einem Satz von einfacher Schönheit: »Es gab viele Wege, auf denen man vom oberen Ende der rue Cardinal-Lemoine hinunter zum Fluß gelangen
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