Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)
mir. Es war eine Vertrautheit, über die wir keine Worte verloren, sondern die einfach bestand, sie wurzelte in unserer Freude an der Natur, in unserem Wissen von ihrer Schönheit, ja in einem stark gemeinsamen Erleben und Fühlen. Hemingways stories berührten, wie ich instinktiv spürte, die Tiefe dieses Empfindens, sie umkreisten es unermüdlich, und sie zelebrierten es manchmal in schweren, feierlichen Sätzen, die mir lauter Schauer über den Rücken jagten: »Am frühen Morgen auf dem See, als er im Heck des Bootes seinem rudernden Vater gegenübersaß, war er überzeugt davon, daß er niemals sterben würde.«
III.
Nachdem ich Hemingways stories kennengelernt hatte, versuchte ich, genau so zu schrieben wie er. Meine trockenen und spröden Reiseberichte genügten mir nicht mehr, so daß ich mich daran machte, Teile aus ihnen herauszulösen und sie so zu erzählen wie eine Hemingway- story. Ich ahmte nach, ich kopierte, aber ich tat es weitgehend, ohne daß ich mir genau klar gemacht hätte, worin denn nun im einzelnen die Eigentümlichkeiten von Hemingways Erzählhaltung bestanden. Den entscheidenden Schritt hin zu diesem Wissen bescherte mir ein Buch, das in den USA drei Jahre nach Hemingways Selbstmord im Jahr 1961 und in deutscher Übersetzung noch ein weiteres Jahr später bei Rowohlt erschien. Es hatte den verheißungsvollen Titel Parisein Fest fürs Leben und bestand aus lauter stories aus dem Nachlaß, in dem Hemingway von seiner Pariser Lehrzeit als junger Schriftsteller in den zwanziger Jahren erzählte. Daß Hemingway in diesen stories derart weit und ausführlich bis zu seinen Anfängen als Schriftsteller zurück gegangen war, erwies sich dabei als Glücksfall, ließen sich die Pariser Geschichten doch dadurch gleichsam als Studien über alle Aspekte eines angehenden Schriftsteller-Lebens lesen. Die Lektüre von Paris – ein Fest fürs Leben empfand ich daher als Lektüre eines Lehrbuchs, das alles enthielt, was ich wissen mußte, um Hemingways Erzählen nicht nur zu kopieren, sondern um es mir von Grund auf einzuverleiben. Wichtig war dabei, daß der junge Hemingway in diesen Erzählungen selbst noch wie ein unwissender Schüler erschien. Als unwissender Schreibschüler ging er bei Meistern wie Gertrude Stein oder Ezra Pound in die Lehre, und als noch ahnungsloser Anfänger dachte er über die Gesetze des Schreibens so grundsätzlich und detailliert nach, wie es sich für ein anschauliches Lehrbuch gehörte. Zugleich war die Schreiblehre aber immer auch mit dem lebendigen, atmosphärischen Raum des großen Paris verknüpft, so daß ich nicht nur vielerlei über den richtigen Erzählstil, das Porträt einer Figur oder das Einfangen einer bestimmten Stimmung erfuhr, sondern mindestens ebenso viel darüber, wie ein junger und fast mittelloser Schriftsteller sein Leben einrichtete, um nicht nur schreiben, sondern auch eine Schriftsteller-Existenz führen zu können.
Zur Schriftsteller-Existenz gehörte das Wissen darum, in welchen Cafés man zu welchen Zeiten am besten welche Getränke und Speisen zu sich nahm ( Ein gutes Café auf der place St-Michel ), wann man die Stars der literarischen Szene zu Hause besuchte und unauffällig hofierte ( Miss Stein ), wie man sich in Buchhandlungen, Clubs oder anderen Zentren des literarischen Lebens Geheim-Tipps zu den neusten Trends und den besten Büchern einer Saison besorgte ( Shakespeare and Company) oder wie man trotz des allgegenwärtigen Hungers an jene minimalen, kulinarischen Sensationen herankam, die für einen gewissen Lebensgenuß unabdingbar waren ( Hunger war eine gute Disziplin ). Der überschaubare Kreis von Figuren, den Hemingway um sein Jugend-Porträt aufbaute, wirkte dabei wie eine intime Gemeinschaft von Freunden, die das Bild der großen Stadt in kleine Lebensräume und Facetten zerlegten. Szenen, Räume und Figuren wirkten auf geschickte Weise daher so zusammen, daß sie Paris gleichsam als eine einzige Schule des Lebens mit lauter verschiedenen Lehrprogrammen und den unterschiedlichsten Lehrstoffen erscheinen ließen. Obwohl es dabei auch darum ging, die charakteristischen Züge einer jungen, amerikanischen Boheme nach dem Ersten Weltkrieg zu porträtieren ( Une Génération Perdue ), wurden Hemingways stories nie zu jener harmlosen, pittoresken Darstellung des Künstlerlebens, für die es gerade in der französischen Literatur seit der Mitte des 19. Jahrhunderts viele lockende Vorbilder gab. Statt dessen nutzte Hemingway den besonderen
Weitere Kostenlose Bücher