Erste Male
Zicke bezeichnet hat. Mrs Cahill lässt uns beide mit dem späten Bus nach Hause fahren. (Die Drohung wird doch noch wahr gemacht.)
Mein Vater konfiguriert ein Netzwerk neu oder was er sonst so mit Computern treibt, wenn er nicht auf dem Rennrad sitzt. Meine Mutter zeigt einem frischgebackenen Wall-Street-Millionär eine völlig überteuerte Strandimmobilie, für die sie eine nette Provision einstreichen wird. Ich weiß, dass ich trotz des späten Busses vor den beiden zu Hause sein werde, also mache ich mir keine Sorgen über ihre Reaktion. Sie erfahren nie etwas von der Sache.
3. Achte Klasse. Ich war zwar genervt, dass wir erwischt wurden, aber ich hatte nie irgendwelche Gewissensbisse wegen der Sachen, die Hope und ich in unser Gnadenlos-Buch schrieben. Gott sei Dank hielt uns die Englischlehrerin bloß einen Vortrag darüber, dass wir unsere hervorragende Beobachtungsgabe lieber zum Guten als zum Bösen verwenden sollten. Himmel! Was wohl passiert wäre, wenn sie unsere vernichtenden Urteile laut vorgelesen hätte!
Ich hatte meist der besseren Wirkung wegen übertrieben. Über Bridget: Ob der Kieferorthopäde mit der Zahnspange auch ihr halbes Gehirn entfernt hat? Über Sara: Sie kriecht Manda und Bridget so sehr in den Hintern, dass sie bestimmt schon ihr Haarspray kacken. Hope hingegen sprach nichts alsdie hässliche Wahrheit aus. Über Manda: Wenn sie Mr Cole weiterhin so ihre Möpse ins Gesicht drückt, kriegt sie vielleicht doch noch die Bestnote in Mathe. Derlei Feststellungen machten mir klar, dass es nur zum Besten gewesen war, als Bridget mich wegen Burke hatte sitzenlassen. Hope war die Freundin, die ich mir immer gewünscht, aber nie gehabt hatte.
Die Liste der Tadel verlängert sich durch mein heutiges Vergehen. Wenn ich mich im Unterricht langweile, schreibe ich traurige Songtexte auf meine Buchumschläge. Im Moment habe ich so eine 80er-Phase – wenig überraschend. Mein derzeitiger Favorit gehört zum Soundtrack des Films Pretty in Pink , des dritten Teils der Teen-Queen-Trilogie mit Molly Ringwald (die ich mir alle immer wieder auf dem Klassikersender TNT ansehen darf, weil die Programmverantwortlichen offenbar wie ich der Meinung sind, dass jeder Film von John Hughes ein »Moderner Klassiker« ist):
Please, please, please … let me, let me, let me …
Let me get what I want this time.
Diese Ode an die Sehnsucht von den Smiths war allerdings nicht, was mir den Ärger einbrachte. Als ich mal weniger musisch miese Laune hatte, hatte ich LIFE SUCKS, THEN YOU DIE auf mein Chemiebuch gekritzelt. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern. Aber es verstörte den Chemielehrer Mr Scherzer, der sofort meine Beratungslehrerin Mrs Glick informierte, die mich wiederum aus dem Trigonometrieunterricht rufen ließ, damit ich mich mit Brandi, unserer Pseudo-Schulpsychologin, unterhielt. Auf ihrem Namensschild steht »Psychologische Beraterin«, ich nehme also an, zur Promotion hat es nicht ganz gereicht. Wahrscheinlich hat sie nicht genügend empirische Argumente für ihre Dissertationsthese gefunden, dass eine Umarmung besser ist als ein Drogenrausch.
Brandi ist fies dünn, so dünn, wie man von Natur aus nicht sein kann, weshalb ihr Gesicht erschreckend ausgezehrt aussieht. Sie versucht das durch aufgerissene Augen und lebhaftes Geplauder auszugleichen, was mich aber eher misstrauisch stimmt. Wie ich ist sie 80er-Fan, doch bei ihr hat das tragische Folgen: getönte Ponyfransen und hautfarbene Leggings.
Die Wände ihres Beratungszimmers sind von oben bis unten mit Postern gepflastert, die uns davon abhalten sollen, betrunken Auto zu fahren, Drogen zu nehmen, Sex zu haben oder uns den Finger in den Hals zu stecken. Die meisten sind total spießig und schlimm: Ein Mädchen mit Namen Philippa/bekam nach dem Sex einen Tripper …
Andere sind einfach nur deprimierend. Das Beste oder Schlimmste ist ein vergrößertes Jahrbuchfoto einer Schülerin. Sie hieß Lindsey Greenbush und war ganz hübsch, so auf die langweilige Katalogmodel-Art. Ein bisschen wie Bridget. Unter ihrem Bild steht eine Liste ihrer Aktivitäten: National Honor Society, Hockey, Fußball, Partykomitee für Homecoming, Französisch-AG. Darunter steht in fetten Lettern: Zwei Wochen vor der Veröffentlichung ihres Jahrbuchs kam Lindsey ums Leben, weil sie zu einem angetrunkenen Fahrer ins Auto stieg.
Ich muss zugeben, es brachte mich ins Grübeln, was wohl passieren würde, wenn mich ein besoffener Autofahrer ins Grab brächte. Ich
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