Erstens kommt es anders ... (German Edition)
zu einer endloseren Tortur.
Nie hatte Stevie jene beiden Tage mehr gehasst, wie während dieses Sommers. Die Kanzlei fehlte ihr, auch die Arbeit und die vielen Diktatstunden. Michael fehlte ihr ja weniger – also der im Büro.
Die Samstage waren mit ihren Besuchen in Castle Rock wunderbar ausgefüllt. Dafür dehnten sich jedoch die Sonntage gähnend in die Länge. Und als Stevie drohte, in einer neuen Cognacsession zu versumpfen, stieg sie kurz entschlossen in ihren neuen alten kleinen Japaner, den sie billig irgendwo aufgerissen hatte. Irgendwann war sie es leid gewesen, sich für jeden Ausflug zu ihrer Mom von einer zunehmend gereizten Bianca den Dodge leihen zu müssen.
Und obwohl sie sich daher ehrlich etwas Angenehmeres vorstellen konnte, landete sie nach mehreren Stunden zielloser Fahrerei wieder auf dem Campus des staatlichen Portland College.
Erwartungsgemäß zeigte sich Bianca über ihren Besuch wenig begeistert, obgleich sie diesmal nicht lernte.
Nach einigem Hin und Her ließ sie sich sogar dazu herab, Stevie eine Cola anzubieten. Die kam schnell dahinter, weshalb ihre Schwester plötzlich so freigiebig war. Bianca nutzte nämlich die Zeit, die Stevie benötigte, um das Koffeingesöff zu vernichten, zum Jammern. Darüber, wie unverschämt teuer das Studienmaterial geworden sei. Ob Stevie unlängst mal einen Schreibblock gekauft habe? Kugelschreiber, Bleistifte?
Dringend bräuchte sie ein Notebook, das wäre ja nun wirklich unterster Standard.
Außerdem laufe sie in Lumpen umher und werde deshalb von ihren Kommilitonen ständig gemobbt. Währenddessen lag die blonde Schönheit auf ihrem Bett und musste schnaufend den obersten Knopf ihrer Designerjeans öffnen, weil sie in letzter Zeit etwas zugelegt hatte. Dankbar für die Ablenkung, gab Stevie ihr sogar das Geld. Wenngleich ihr monatliches Bianca-Budget bereits ausgeschöpft war. Allerdings brachte ihr dieses Friedensangebot noch mehr Ärger ein. Denn als Nächstes (nachdem sie die einhundert Dollar sorgsam in der Tasche ihres Einhundertdollarmarkenhemdes verstaut hatte), warf Bianca ihr vor, sie mit Absicht in ihrem schäbigen Campuszimmer vor sich hin darben zu lassen. Ehrlich, jeder Hund lebte besser! Während Stevie heimlich im Geld schwamm. Selbst diesen – total lächerlichen – Vorwurf nahm die Angefahrene widerstandslos hin.
Auch wenn sich die finanzielle Lage deutlich entschärft hatte, lebte sie keineswegs im Überfluss. Denn Stevie, aus Erfahrung klug geworden, brachte jeden Cent, den sie sparen konnte, zur Bank. Um für den Notfall gerüstet zu sein. Sie würde nie wieder hungern! Das hatte sie sich geschworen.
Nicht neu erworben – wie Michael mutmaßte – stammte ihre Kleidung vielmehr aus dem Schrank und war zuvor aus diversen Kisten ans Tageslicht befördert worden. Gleichsam verhielt es sich mit den Schuhen. Nur das Make-up und das Parfüm hatte sie sich gegönnt, und Stevie fand, das hatte sie sich ehrlich verdient.
Dennoch brachte sie durchaus Verständnis für Bianca auf. Sie gab ihr einen weiteren grünen Schein, kaufte ihr einen kleinen Fernseher und eine Stereoanlage und versprach, den alten Dodge wie versprochen zu veräußern. Von dessen Erlös würde sie auch ihrer Schwester einen Kleinwagen in niedriger Preisklasse besorgen.
Das besänftigte Bianca nicht wirklich, aber sie ertrug sie wenigstens in den vielen Stunden der Sonntage, sodass Stevie nicht allein in ihrem Appartement sitzen musste.
Trotzdem war sie an jedem Montagmorgen überglücklich, endlich wieder in der Kanzlei erscheinen zu dürfen. Neuerdings stand sie erheblich früher auf, benötigte sie doch inzwischen erheblich mehr Stylingzeit, als in den Monaten zuvor.
Auch Michael schien momentan deutlich länger für seine Morgentoilette zu brauchen. Entgegen seinen sonstigen Angewohnheiten empfing er sie nicht länger hinter seinem Schreibtisch, sondern kam immer erst, wenn sie bereits in ihrem Büro saß.
Frisch, ausgeruht, sexy wie die Hölle und mit einem milden Lächeln auf den Lippen.
Als er den neuen Fall übernahm, maß Stevie dem zunächst nicht viel Beachtung bei. Schließlich war das eine normale Begebenheit in einer Anwaltskanzlei.
Es handelte sich auch eher um eine alltägliche Geschichte:
Eine junge Frau war wegen Fahrerflucht und Totschlags angeklagt worden. Man warf ihr vor, im vergangenen Februar beim Übersehen einer roten Ampel einen älteren Mann mit ihrem Sportwagen überfahren zu haben und daraufhin geflohen zu sein. Ein
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