Erstens kommt es anders ... (German Edition)
den Samstagen verkörperte sie nicht Miss Grace, die Assistentin, sondern Miss Grace, Mitarbeiterin der Roger-Krebs-Stiftung.
Und er erwähnte niemals die zwei Stunden auf der Parkbank oder ihre kurze Karriere als Barbedienung. Weder an den Wochenenden noch während der normalen Arbeitszeit. Für Michael Rogers schien dieser Vorfall nicht stattgefunden zu haben und nach einigen Schwierigkeiten gelang es Stevie tatsächlich, das Gleiche zu glauben.
Im September bezog Bianca in Portland ihr kleines Zimmer auf dem Campus und Stevie kam ganz schnell dahinter, dass sie mit einer grundlegenden Problematik bislang überhaupt nicht kalkuliert hatte:
Vanessa.
Bisher hatte sie die Versorgung ihrer Mom weitestgehend ihrer Schwester überlassen. Die beschwerte sich zwar hin und wieder lautstark darüber, aber Stevie hatte dem nie viel Bedeutung beigemessen. Schließlich handelte es sich bei Vanessa Grace um keine unzurechnungsfähige Person und bei Bianca um kein Kleinkind!
Eine äußerst gefährliche Fehleinschätzung.
Denn nachdem Bianca eine Woche das College besucht hatte, erreichte Stevie eines Nachmittags ein folgenschwerer Anruf in der Kanzlei. Das Krankenhaus in Tillamook. Man hatte ihre Mutter entkräftet eingeliefert. Glücklicherweise war eine Nachbarin aufmerksam geworden, weil Vanessa sich tagelang nicht blicken ließ. Nicht einmal die Zeitung wurde hereingeholt. Und als sich vor der Haustür langsam ein Papierberg bildete, informierte sie geistesgegenwärtig die Behörden.
Eine sofortige Fahrt nach Tillamook war unausweichlich, soviel stand fest. Doch allein dies stellte sich bereits in der Umsetzung als recht kompliziert heraus. Zunächst musste Stevie mit Michaels verwirrtem und vor allem fragend/aufforderndem Blick umgehen. Kurzerhand und weil ihr wirklich keine Alternative einfiel, ignorierte sie ihn strikt, und flüchtete aus der Kanzlei, sobald er ihre Ankündigung, dass sie dringend früher gehen müsse, knapp abgenickt hatte.
Außerdem existierte die geringfügige Komplikation, dass sie kein Auto besaß. Und so durchquerte sie einmal die gesamte Stadt, um von einer nicht gerade begeisterten Bianca den Dodge zu leihen.
Die eineinhalb Stunden Fahrzeit nach Tillamook legte Stevie in einer knappen Stunde zurück und erreichte dennoch erst über drei Stunden nach erfolgtem Anruf und darüber hinaus am späten Abend das Krankenhaus.
Die Diagnose der Ärzte fiel so einfach wie vernichtend aus:
Inzwischen hochgradig betäubungsmittelabhängig konnte Vanessa Rogers sich nicht länger ohne Hilfe versorgen und war daher dringend auf ständige Betreuung angewiesen. Der junge Assistenzarzt riet eindringlich zu einer Entziehungskur.
Abgesehen von einem mechanischen Nicken brachte Stevie nichts zustande. Sie kleidete ihre kaum ansprechbare Mom an und nahm die Rechnung für die stationäre Behandlung in Empfang, ohne auch nur einen Blick hineingeworfen zu haben.
Wenigstens diesen Schock wollte sie sich bis auf Weiteres ersparen.
Als Vanessa in ihrem Bett lag, sorgte Stevie dafür, dass diese noch etwas zu sich nahm – was eine ziemlich heikle Angelegenheit darstellte. Und danach saß sie heulend in dem kleinen, gemütlichen Häuschen und wusste nicht mehr weiter.
»Rogers?«
»Miss Grace, Sir.«
»Ja?«
Ihre Lider senkten sich über die brennenden Augen. »Sir, ich muss Sie leider um eine Woche Urlaub bitten. Es ist dringend.«
»Was ist passiert?« Das klang nach Michael und tat ihr deshalb nur noch mehr weh.
»Eine persönliche Angelegenheit.«
Schweigen.
»Ich würde wirklich nicht darum bitten, wenn es nicht absolut dringend wäre.«
Auch jetzt sagte er nichts.
»Sir ...?«
Es dauerte noch einmal beängstigend lange, bevor endlich seine Stimme ertönte. Und diesmal verkörperte er Mr. Rogers. »Sicher. Kein Problem.«
»Danke«, wisperte Stevie doch er hatte bereits aufgelegt.
* * *
»D u bist ein Idiot.«
Interessiert betrachtete Michael die Auslagen des Geschäfts, vor dem sie soeben zum Stehen gekommen waren. Was genau angeboten wurde, wusste er nicht und verfolgte auch nicht die Absicht, jemals dahinter zu gelangen. Er wollte bloß, dass Diana endlich ihr entsetzliches Geschwafel einstellte.
Mittlerweile lagen die ersten beiden Oktoberwochen hinter ihnen – ziemlich nasskalte vierzehn Tage übrigens - und Michael näherte sich langsam aber sicher dem emotionalen Ausnahmezustand. Denn Stevie hatte sich vollständig verändert.
Den Zeitpunkt der Veränderung konnte er sogar genau
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