Erstens kommt es anders ... (German Edition)
ignoriert. »Sieh nach, ob ausreichend Diktierblöcke da sind.«
Spöttisch verzog Stevie das Gesicht. »Unnötig! Die würdest du nicht mal vergessen, wenn ...«
»Tu es einfach!« Es kam nicht laut, nur sehr bestimmt und nach einem letzten, zweifelnden Blick zog sie doch tatsächlich die Schublade auf, blickte hinab und erstarrte.
»Damals habe ich dir ein Appartement einrichten lassen – nein, allein machte ich mir die Mühe nicht - und beleidigte dich darüber hinaus mit einem Scheck. Es gibt nichts, was meine Idiotie entschuldigen kann, das weiß ich. Und mittlerweile habe ich verstanden, dass du weder auf kostspielige Zuwendungen aus bist, noch auf eine von mir finanzierte Wohnung. Wenn ich dir heute dies schenke, wirst du mir die Ehre erweisen, es anzunehmen? Ich schwöre, dass ich nicht die geringsten Hintergedanken damit verfolge. Ich möchte dir nur sehr gern eine Freude bereiten.«
Anstatt zu antworten, starrte sie weiterhin in die geöffnete Schublade.
Und so erhob Michael sich, nahm die Schatulle heraus und barg aus ihr ein schmales, ledernes, äußerst schlichtes Armband. Mehr als ein paar Dollar konnte es unmöglich wert sein. Als sie schließlich aufsah, musterte er sie fragend und bittend zugleich. Doch es verging noch einmal eine atemlose Weile, bevor sie langsam und durchaus zögernd nickte. Mit einem in sich gekehrten Lächeln befestigte er es um ihr zierliches Handgelenk.
»Die Angelegenheit stand immer zwischen uns«, erklärte er dabei beiläufig. »Ich kann es nicht ungeschehen machen, das liegt auch nicht in meiner Absicht. Aber du sollst verstehen, dass ich dazu gelernt habe. Ist das Okay?«
Lange Zeit betrachtete Stevie das Geschenk, und sah schließlich zu ihm auf. »Ja.« Schlicht und daher nicht falsch zu interpretieren.
Befreit lachte Michael auf. »Ich danke dir.«
* * *
s war ein höchst eigenartiges Gefühl, das Stevie beim Betreten des Büros an einem kühlen Januarmorgen beschlich.
Kein Geräusch unterbrach die aufdringliche Lautlosigkeit, keine tiefe, gelassene Stimme, sprach mit irgendwem am Telefon. Nicht einmal das verhaltene, kaum wahrnehmbare Summen der Monitore vibrierte im Raum. Dass es überhaupt existiert hatte, fiel ihr erst jetzt auf, als es plötzlich fehlte. Tatsächlich herrschte Totenstille.
Zögernd zog sie den Mantel aus und setzte sich wie üblich hinter ihren Schreibtisch. Als sie eher zufällig aufsah, erstarrte sie in der Bewegung und ihre Augen wurden groß.
Stevies Chef saß an seinem Arbeitsplatz. Durch die offenstehende Tür seines Büros befanden sie sich beinahe vis-à-vis. Soweit war alles wie immer.
Aber auch nur soweit.
Denn als sie ihr »Guten Morgen, Sir!« verlauten ließ, etwas gedämpfter heute, wenngleich sie nicht wusste, weshalb, sah er nicht auf. Er hielt den Kopf gesenkt, wirkte wie versteinert und schien seine Hände, die flach auf dem Tisch lagen, einer aufmerksamen Betrachtung zu unterziehen.
Nach fünf Minuten Schweigen wurde Stevie langsam nervös. An Arbeit war nicht zu denken, denn hier stimmte tatsächlich überhaupt nichts. Irgendetwas war geschehen. Diese fremde, beängstigende Atmosphäre, Michaels untypisches Verhalten, die laute Stille - all das sagte ihr, dass sie gerade unfreiwilliger Zeuge einer Katastrophe wurde.
Und als auch nach weiteren zwei Minuten nicht die geringste Regung aus dem Nachbarzimmer erfolgte, erhob sie sich, beinahe wie im Traum und durchquerte den Raum. Unschlüssig verharrte sie im Türrahmen. »Sir ...?«
Keine Reaktion.
»Mr. Rogers?«
Auch das wurde ignoriert, und Stevie litt inzwischen an ernsthaften Beklemmungen. Sie wusste nicht sehr viel über diesen Mann. Seltsam, dass ihr das gerade in einem solchen Moment aufging, doch eigentlich war er ihr noch immer sehr fremd. Allerdings bildete sie sich ein, mittlerweile einschätzen zu können, dass ihn so schnell nichts erschüttern konnte. Sicher neigte er dazu, sich über Kleinigkeiten unangemessen zu echauffieren. Das entsprach seiner aufbrausenden, manchmal hitzigen Mentalität. Doch er gehörte nicht zu jenen Menschen, die sich von den geringsten Schwierigkeiten aus der Bahn werfen ließen. Was geschehen musste, um ihn derart zu paralysieren, wollte Stevie im Grunde überhaupt nicht erfahren. Ihn in dieser Verfassung zu sehen genügte bereits, um ihr zuzusetzen. Doch es ließ gleichfalls die von ihr so verbissen eingehaltenen Umgangsregeln für einen kurzen Augenblick jede Wirkung verlieren. Logisches und wohlkalkuliertes Handeln
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