Ertränkt alle Hunde
zeigten die verschiedenen Magistrate gern in aller Öffentlichkeit, was für heiße Nummern sie im Kaiserreich waren«, erläuterte Ruby. »Jedesmal, wenn sie also zum gemeinen Volk auf die Straße gingen, nahmen sie immer ganze Horden von Sklaven mit, die mit den Fasces herumfuchteln
durften. Damals war es das Symbol für Privileg und Amtsgewalt. Die Bauern machten ihnen Platz.«
Ich dachte einen Augenblick darüber nach und sagte dann: »Ich frage mich, ob’s noch was Neues unter der Sonne gibt. Heute rennen die Politiker mit diesem Gefolge, bestehend aus Kamerateams und Burschen, die Sonnenbrillen, kleine Ohrhörer und marineblaue Secret-Service-Anzüge tragen, durch die Gegend.«
»Was bedeuten soll, sie sind große Hechte. Die gleiche Geschichte. Ein Gimmick war schon immer ein Gimmick.«
»Aber was hat das alles mit Father Tim zu tun?«
Ruby seufzte und sah mich an, als hätte ich eine Pottfrisur. »Später dann«, sagte sie, »gab es diesen italienischen Burschen, der wie ein Profi-Catcher aussah und Benito Mussolini hieß. Er brauchte ein Logo für seinen politischen Verein, den er nach dem Ersten Weltkrieg gründete. Also... die faschistische Partei, abgeleitet von Fasces. Du hast vielleicht schon mal gehört, daß die Partei bei vielen frommen Typen ziemlich beliebt gewesen ist.«
»Ja, hab ich gehört. Aber Father Tim? Ich glaube wirklich nicht...« Meine Stimme verklang, da ich weder Respekt vor meinen Gedanken hatte noch vor einem Bild aus meiner Kindheit, das mir plötzlich in den Kopf kam wie eine unbekannte, aber dennoch nicht vergessene Melodie: Father Tim sitzt im Haus meiner Mutter mit Onkel Liam zusammen, die beiden Männer lauschen Joe McCarthy im Atwater-Kent-Radio und ereifern sich darüber, daß sich Amerika schnurstracks auf dem Weg in die kommunistische Hölle befinde und alles den Bach hinuntergehe. Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Ich halte ihn für ausgesprochen harmlos.«
»Ja, vielleicht. Der arme alte Knabe wohnt ganz allein oben in der Bronx, besitzt als einzige Gesellschaft nur das abgelegte Kriegssouvenir von irgendwem und hört nur unregelmäßig von seinen Freunden.« Während ich ein schlechtes Gewissen bekam, drehte Ruby das Medaillon um. Sie las noch einmal die Inschrift und sagte: »Vielleicht hat II Duce, der glatzköpfige Widerling, diesen reizenden Vers ja höchstpersönlich geschrieben. Bevor er in die Politik ging, war er Journalist, mußt du wissen.«
»Ich werde in Zukunft immer daran denken, wenn ich eine Zeitung lese.«
»Gute Idee.« Ruby setzte die Brille ab. Ich nahm ihr das Messingmedaillon aus der Hand. Sie sagte: »Du willst dieses verfluchte alte Ding doch nicht wirklich behalten? Wozu?«
»Man kann nie wissen.«
Danach döste ich auf meinem Sitz ein und schlief den Rest des Fluges nach Dublin. Ich träumte vom Krieg: von Tyrannen mit lächerlichen Hüten auf dem Kopf, die Prachtboulevards hinunterfuhren, gesäumt von verbissen dreinschauenden Männern und Frauen, die Kinder festhielten, klug genug zu lachen; von unwissenden Armeen, bestehend aus Jungs, die über Felder aus Matsch und Lehm marschierten, in den Dreck fielen und sich nie mehr erhoben; von lächelnden jungen Soldaten in Bilderrahmen; von Aristokraten, die Journalisten Lügen erzählten, und Politikern, die alles glaubten, was sie lasen.
Und in diesen traurigen Träumen hörte ich die Stimme des Geistes meines Vaters; seine Worte, geschrieben in einem Brief an meine Mutter, geschrieben, von wo auch immer er in diesem Krieg war, Worte, die ich einmal laut vorgelesen gehört und die ich mir auf alle Zeiten eingeprägt hatte:
Die Welt ist verrückt geworden, und eine moralische Wahrheit hat ohne riesige Armeen auch nicht die geringste Chance gegen den Teufel; und Gottes eigene herrliche Armee hat nicht die geringste Chance ohne Spione und Verrat und Geheimcodes und Tücke und Propaganda und die verschlungensten Komplotte und alle Arten von Täuschung und Grausamkeit, die nötig sind, um die menschliche Zivilisation zu bewahren...«
9
Mogaill saß in der Nähe der Statue des heiligen Judas in der Kirchenbank, rauchte eine Zigarre und fragte sich, wohin das alles noch führen sollte. Er brauchte den guten, kräftigen Duft von Tabak. In all den Jahren seiner Arbeit bei der Mordkommission hatte er sich nie an den ekelhaften Geruch einer Leiche gewöhnt.
Knapp zehn Meter entfernt umringte ein Team der Gerichtsmedizin der Midtown-North PDU den verstorbenen Father Timothy Kelly. Der
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