Erwachen
»Wo ist dieser Schlüssel?«
»Das weiß niemand.«
Ich nickte, wild entschlossen. »Ich werde es rausfinden, da kannst du dich drauf verlassen.«
Ich beobachtete sein Gesicht, sa h die Zustimmung darin und lächelte.
»Hier?«, fragte er und deutete mit dem Kopf auf ein Wohngebäude, das ziemlich abrissreif wirkte
»Was für ein Luxusschuppen. Auf geht’s.« Ich ging voran, blieb dann aber auf der Betontreppe stehen. »Bevor wir da reingehen, erzählst du mir erst deine Geschichte zu Ende. Wenn sie mir nicht gefällt, haue ich ab. Wenn ich auch nur den geringsten Verdacht habe, dass du mich verarschst, mache ich dich so schnell kalt, dass du schon eine Pfütze schwarzen Schleims bist, bevor du auch nur einen vernünftigen Gedanken gefasst hast. Verstanden?«
Er schob sich an mir vorbei und stieg die Treppe hinauf. »Ich will dir nichts Böses, Lily! Ich weiß das, und du weißt das auch. Also hör auf, mir zu drohen. Das gehört sich nicht.«
Die Schärfe in seiner Stimme ließ mich schlucken. Er hatte recht, ich wusste es. Und im Moment war ich froh, dass Deacon auf meiner Seite stand.
Im zweiten Stock fanden wir eine leere Wohnung und machten es uns im Wohnzimmer auf dem Boden gemütlich. Es roch nach Zigaretten und Urin, und der graue Teppich war vermutlich mal beige gewesen. Es war nicht das Ritz, aber es würde reichen.
»Maecruth«, nahm ich den Faden wieder auf. »Wieso warst du dort?«
»Ich glaube, ich bin dran mit Fragenstellen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, nein. Ich will etwas über die Nacht hören, in der du mich umgebracht hast. Glaub mir - das interessiert mich wirklich brennend! Gestern hast du mir erzählt, dass Alice’ Blut an deinen Händen klebt. Was hat das zu bedeuten? Ich bin sehr gespannt. Also schieß los!«
»Noch nicht. Ich finde es unter den gegebenen Umständen reichlich ironisch, dass ich derjenige bin, der die ganze Zeit reden soll. Erst mal bist du mit deiner Geschichte dran.«
»Unter den gegebenen Umständen?«, gab ich zurück. »Ich bin kein Dämon. Und schon gar keiner aus den tiefsten Tiefen der Hölle.«
»Aber du bist diejenige, die dafür gesorgt hat, dass die Pforte offen bleibt. Wofür dir alle Dämonen aus tiefstem Herzen dankbar sind.«
Ich schaute ihn missmutig an; er hatte meinen wunden Punkt getroffen. Meine Gedanken waren aber noch immer bei meiner Frage, und ich ließ ihn nicht aus den Augen, diesen so normal aussehenden, so wunderschönen Mann. Ich hatte die Wut in ihm gesehen - und wie er sie unter Kontrolle hielt. Und in seinem Kopf hatte ich noch sehr viel dunklere Dinge entdeckt. Aber nichts Ungezähmtes. Nichts außer Kontrolle Geratenes. Nichts, das vom Bösen zerstört und dann zum Verrotten liegen gelassen worden war. Zane hatte gesagt, dass die meisten Tri-Jals den Verstand verloren und nie wieder normal wurden. Deacon, das wurde mir jetzt klar, war sogar noch stärker, als er aussah.
Was ihn auch noch gefährlicher machte. Und zu einem verdammt starken Verbündeten.
»Ich bin gestorben«, sagte ich und traf eine Entscheidung, ohne mir bewusst zu sein, dass ich das tat. »Ich habe versucht, eine Drecksau namens Lucas Johnson zu töten, und dabei bin ich ums Leben gekommen.«
»Lucas Johnson?« In seinen Augen blitzte etwas auf. Wiedererkennen.
»Ja«, entgegnete ich argwöhnisch. Ich hatte Angst, was Deacon sagen würde. Angst, dass ich die Antwort wusste, bevor er sprach. »Mein Gott. Er ist ein Dämon, nicht wahr?«
»Ja.« In Deacons Kinn zuckte ein Muskel - er bezähmte seine Wut. Was ich sehr gut nachvollziehen konnte, schließlich musste auch ich meine Wut bezähmen. Denn jetzt wurde mir klar, dass Johnson, da ich ihn nicht mit meinem eigenen Messer getötet hatte, wieder zum Leben erwacht war
Sein Wesen war wieder zum Leben erwacht und hatte sich einen neuen Körper gesucht. Johnson war derjenige, der Rose verfolgte. Derjenige, von dem sie mir erzählt hatte. Dessen Blick sie spürte, der sie beobachtete. Ihr nachstellte.
Scheiße. Ich wollte aufspringen, aber Deacon packte meine Hand und zog mich wieder nach unten. »Nein. Erzähl mir den Rest.«
»Ich muss los.«
»Erzähl es mir.«
Mir war danach, zu schreien und um mich zu treten und ihn ins Gesicht zu schlagen. Ich wollte zu Rose und sie in Sicherheit bringen. Ich wollte Lucas Johnson finden und ihm mein Messer ins Herz rammen. Und nichts davon konnte ich tun. Jedenfalls nicht gleich. Ich musste nachdenken. Einen Plan entwerfen. Wenn ich Rache wollte,
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