Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
Vom Netzwerk:
zugedrückt, dass es ein Wunder war, dass ich nicht über meine eigenen Füße gestolpert bin.
    Ich hatte allerdings so ein Gefühl, dass Miss Hello Kitty längst nicht so knausern musste wie ich. Doch bevor ich Gracie nach weiteren Informationen über Alice’ jüngste Unterhaltungen mit dem rätselhaften Mann löchern konnte, unterbrach uns Egans dröhnende Stimme. »Wollt ihr zwei die ganze Nacht tratschen? Oder kümmert sich auch noch jemand um die Arbeit und bucht diese Kassenbelege hier aus?«
    Wir fuhren von unseren Stühlen hoch, als hätte er uns einen Stromschlag durch den Hintern gejagt, sahen uns an und mussten lachen. Ein echtes Lachen, als würde es uns nicht groß kümmern, wenn die Welt um uns in Scherben fallen würde, weil irgendetwas einfach furchtbar lustig war.
    Um mich wieder einzukriegen, schlang ich die Arme um mich; dabei wollte ich gar nicht, dass diese Fröhlichkeit zu Ende ging. In diesem Moment fühlte ich mich richtig lebendig, so wie früher mit Rose. Bevor Lucas Johnson alles kaputt gemacht hatte. So wie wir uns im Rhythmus mit den Hüften anstießen, wenn sie das Geschirr spülte und ich abtrocknete. So wie wir zusammen gelacht hatten. Rose war der Grund gewesen, dass ich mich wie verrückt abgerackert und Makel auf meine Seele geladen hatte. Um Rose zu behüten, ihr ein normales Leben zu ermöglichen und sie vor der dunklen Unterwelt zu bewahren, in der ich mich bewegte, um uns alle am Leben zu erhalten. Es hätte auch fast geklappt. Fast ist allerdings einen Dreck wert. Fast rettet einem nicht das Leben, zahlt keine Rechnungen und verhilft einem ganz gewiss nicht zu einem Platz im Himmel.
    »Alice?« Gracie sah mich an.
    Ohne nachzudenken umarmte ich sie. Ich brauchte Körperkontakt. Ausgelassen erwiderte sie die Umarmung, und die Intimität, die Verbindung zwischen uns, war so echt, dass es mir fast das Herz brach. Weil es nämlich gar nicht echt war: Ich kannte sie kaum, klammerte mich aber an das erste Anzeichen von Menschlichkeit, das ich fand.
    Hinter dem Tresen blickte Alice’ Onkel finster zu uns herüber, bis wir uns schließlich wieder beruhigen mussten, um keine psychiatrische Untersuchung zu riskieren. Gracie schnappte sich ein Tablett und ging, drehte sich dann aber noch einmal um, weil ihr offenbar noch etwas eingefallen war. Sie kam zurück und beugte sich vor, sodass sie mir direkt ins Ohr flüsterte: »Man hat mich wegen der Stelle als Empfangsdame zurückgerufen. Ich habe den totalen Bammel - aber danke, dass du die Sache eingefädelt hast.«
    »Gern geschehen«, sagte ich, fragte mich aber gleichzeitig, wieso Alice ihre Freundin verscheuchen sollte. Besseres Gehalt? Bessere Aufstiegschancen? Oder aus einem völlig anderen Grund?
    Ich packte mein eigenes Tablett und machte mich, den Kopf voller Fragen, ebenfalls wieder an die Arbeit. Der Rest der Schicht verging wie im Flug, der Abend war schneller vorbei, als sich die Uhrzeiger normalerweise drehen. Zwischendrin stibitzte ich eine von den papiernen Speisekarten, die Egan neben der Tür ausgelegt hatte, und kritzelte die Namen von allen Leuten drauf, die ich an diesem Abend kennengelernt hatte. Später wollte ich die Liste durchgehen und mir die Namen einprägen. Hausaufgaben.
    Montags schloss das Pub um neun, und als Egan schließlich verkündete, ich solle den Müll auf die Gasse rausbringen, taten mir Füße und Waden weh. Und mir wurde klar, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, ein bisschen was über Alice’ Leben herauszufinden. Noch dazu, ohne meine Tarnung auffliegen zu lassen. Alles in allem betrachtete ich den Abend als Erfolg.
    Während ich den Müllsack mit fettigen Essensresten zuschnürte, schloss Egan die Eingangstür ab. Das Pub war nicht mehr die ursprünglich winzige Schänke, sondern deutlich erweitert worden. Der Teil, der sich hinter den öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten befand und zur Gasse hinausführte, war noch original erhalten geblieben; die Küche war natürlich von Grund auf erneuert worden. Aber als ich durch die Tür in den Teil trat, den die Belegschaft als »hinten« bezeichnete, tauschte ich rostfreien Stahl und helle Lampen gegen klammes Holz, alte Ziegel und matte Glühbirnen, die von der Decke baumelten.
    Das trübe Licht konnte sich kaum gegen die Dunkelheit behaupten. Ich malte mir aus, dass sich in den finsteren Ecken Monster versteckten, deren Knurren nur mühsam vom Gurgeln der alten Rohre überdeckt wurde.
    Ich wusste, dass die Steintreppe zum Lager und einem

Weitere Kostenlose Bücher