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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kenner
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umdrehte, sa h ich Schatten über den Gehweg huschen und hinter den Bäumen oder in der Kanalisation verschwinden. Als ich Movies & More schließlich erreicht hatte, war ich schweißgebadet, und mein Herz schlug einen ganz ungewohnten Rhythmus.
    Die übermäßig hellen Neonlampen versengten mir fast die Augäpfel, als ich eintrat. Plakate von Dutzenden von Filmstars blickten mir entgegen.
    »Kann ich dir helfen?« Jeremy lümmelte sich hinter dem Tresen, von den Lippen baumelte ihm eine nicht angesteckte Kippe. Ich hatte nie herausgefunden, ob das nur sein persönlicher Umgang mit dem Rauchverbot war oder seine Art, Leck mich zu sagen. Bei Jeremy war es manchmal besser, nicht zu fragen.
    »Ich bin eine Freundin von Lily«, sagte ich und nahm mir einen Schokoriegel vom Süßigkeitenständer auf dem Tresen. »War, meine ich.«
    Er runzelte die Stirn, und ich konnte förmlich sehen, wie sich die Räder in seinem fettigen Schädel drehten. Jeremy hatte ein hübsches Geschäft mit DVD-Raubkopien aufgezogen, und ich bekam einen Anteil von allen Kunden, die ich ihm anschleppte.
    Ich hielt erst mal still, damit er mich in aller Ruhe begutachten konnte. Mir war es jedoch wichtiger, dass er sich fragte, ob diese Tussi hier aufgetaucht war, um ihn zu verpfeifen. Ihr könnt mir glauben: Es ist sehr viel einfacher, etwas zu bekommen, wenn die Zielperson glaubt, sie könne Schlimmeres vermeiden, wenn sie nachgibt.
    »Und weiter?«, fragte er schließlich und verlagerte das Gewicht dauernd von einem Fuß auf den anderen, sodass er hinter dem Tresen praktisch wippte.
    Lässig hob ich eine Schulter und riss die Verpackung des Schokoriegels auf. »Nur eine Kleinigkeit. Ich hatte gehofft, du könntest mir einen Gefallen tun.«
    »So? Was für einen?«
    »Du hast noch Geld in deinen Büchern, das du Lily schuldest, oder?«
    »Wer bist du? Ihre Buchhalterin?« »Wenn dich das glücklich macht.«
    »Ich bin ihr einen Dreck schuldig! Ich arbeite hier nur. Da musst du schon mit Sean reden.«
    »Mit dir muss ich reden, du Blödmann! Ich spreche hier nicht von dem mickrigen Mindestlohn, den sie hier ausspucken. Ich rede von den Provisionen. Und da stehen noch ungefähr dreihundertfünfundsiebzig aus.«
    Er zögerte. Dass er alles abstreiten wollte, stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch zum Glück besann er sich eines Besseren. Stattdessen versuchte er ein Ablenkungsmanöver. »Sie ist tot. Tote brauchen kein Geld mehr.«
    »Aber ihre Schwester.«
    »Na und? Bist du jetzt auch noch vom Jugendamt?«
    »Wahrscheinlich wäre es besser, du würdest mich als Problem betrachten. Denn ich weiß, wo du die Filme kopieren lässt, und Sean hat keine Ahnung davon.« Ich machte einen großen Schritt auf ihn zu. Jetzt trennte uns nur noch der dünne Sperrholztresen. »Und ich weiß auch, wer deine Kunden sind.«
    »Blödsinn!« Aber der Schweiß stand ihm schon auf der Stirn.
    »Sie hat es mir erzählt, Alter. Sie hat mir so einiges erzählt.« Ich legte eine Hand auf den Tresen, Handfläche nach oben. »Also lass die Kröten rüberwachsen.«
    »Jetzt mach aber mal ‘nen Punkt!«, motzte er. Das war aber auch schon alles, was er sagte, weil ich ihn blitzschnell bei seinem dürren Hals packte und ihn herzog, bis sein Gesicht direkt vor meinem war.
    »Du hörst mir jetzt zu, du kleiner Scheißer! Du machst deine Brieftasche auf. Du gibst mir, was du hast. Und wenn es keine dreihundertfünfundsiebzig sind, lieferst du den Rest Ende der Woche bei mir oder bei Rose ab. Ansonsten werden wir uns wohl noch mal unterhalten müssen. Und ehrlich gesagt: Da steh ich nicht so drauf.«
    »Das beruht auf Gegenseitigkeit«, röchelte er. Als ich ihn losließ, taumelte er nach hinten und strich sein Hemd wieder glatt, während er mich anstarrte.
    »Sofort.«
    Eine Sekunde lang dachte ich schon, er zögere erneut. Und ich glaube kaum, dass mir das groß was ausgemacht hätte. Denn ich hatte größte Lust, jemanden zu verprügeln. Aber dann nahm er Vernunft an und zog die Brieftasche heraus. Er legte zwei Hunderter auf den Tresen, danach noch einen Fünfziger, einen Zwanziger und sechs Ein-Dollar-Scheine.
    »Und der Rest?«
    »Bringe ich Rose. Das hätte ich eh getan. Die Kleine braucht mal eine Verschnaufpause.«
    »Klar. Und du bist ja bekannt dafür, gute Gefühle zu verbreiten und Reichtum zu teilen.«
    »Aber ganz genau«, feixte er. »Ich hatte ja gar keine Chance, irgendwas zu sagen, nachdem du gleich wie eine wild gewordene Schlampe auf mich losgegangen

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