Erwachen
Gesicht meines Stiefvaters entgegenstarrte.
»Was’n los?«, fragte Joe und tauchte mich in ein Bad aus Bourbon, ein Geruch, den ich immer mit seinem Versagen in Verbindung gebracht hatte. Alles ganz wie früher.
Ich schluckte und ballte meine Hände, fest entschlossen, den Arm nicht auszustrecken. »Ich … ich … Ist Bose da?«
Seine Augen wurden schmal, dann trat er zurück und schrie den Flur entlang nach meiner Schwester, während er sich in seinen Bau zurückzog, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen.
Zappelig wartete ich, unsicher, was ich tun sollte. Soeben war ein Stück meines Herzens verschrumpelt und abgestorben. Beinahe hätte ich das Weite gesucht. Vielleicht war es ein Fehler herzukommen, doch als ich meine Schwester erblickte, blieb ich schlagartig stehen. Mit ihren vierzehn Jahren sah ihre Haut so fahl aus, als ginge sie bereits auf die fünfzig zu. Unter ihren Augen waren dunkle Ringe zu sehen, und sie kam mit einer herzzerreißenden Vorsicht an die Tür. Die Schrammen, die Johnson ihrer empfindlichen Haut zugefügt hatte, mochten verheilt sein, aber meine Schwester war immer noch gezeichnet, und dieses Wissen saß mir wie ein Bleiklumpen im Magen. Sie war keineswegs gesund und glücklich. Joe war nicht Manns genug gewesen, ihr ein guter Vater zu sein.
Mein Opfer hatte ihr Leben nicht wie von Zauberhand verändert.
Ich sagte mir, es seien ja erst achtundvierzig Stunden vergangen, seit ich Johnson umgebracht hatte, und in so kurzer Zeit könnte man keine großen Veränderungen erwarten. Ich sagte mir, dass Rose Zeit brauchte, um über meinen Tod hinwegzukommen und dass Joe Zeit brauchte, um seiner neuen Verantwortung gerecht zu werden. In ein, zwei Monaten würde alles besser laufen.
Das sagte ich mir zwar alles, aber ich glaubte es mir nicht, »Wer sind Sie?«
»Ich bin … Alice«, antwortete ich und steckte meine Hände in die Hosentaschen, damit ich nicht die Arme um sie schlang. Ich wartete, bis ich sicher war, die Tränen zurückdrängen zu können, dann fuhr ich fort: »Ich war eine Freundin deiner Schwester.«
Sie neigte den Kopf zur Seite, wie sie es immer tat, wenn sie nachdachte. »Ich habe Lilys Freunde kaum gekannt.«
Ich zuckte zusammen, hörte den Vorwurf heraus und wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und alles, was ich falsch gemacht hatte, ungeschehen machen, einschließlich des Umstands, dass die meisten meiner sogenannten Freunde echte Scheißkerle waren. Scheißkerle, durch die ich an Geld kam, aber nichtsdestotrotz Scheißkerle.
»Sie hat viel von dir gesprochen«, sagte ich wahrheitsgetreu. »Und ich wollte einfach mal vorbeischauen und mich erkundigen, wie es dir geht. Sie würde wissen wollen, ob es dir gut geht. Geht es dir gut?«
Ihre großen Augen sahen erstaunt drein, und mein Herz machte einen Satz, so verzweifelt war ich auf gute Neuigkeiten aus. Auf die Gewissheit, dass mein Tod die Welt für sie zu einem besseren Ort gemacht hatte. Dass ich es irgendwie geschafft hatte, mein Versprechen einzulösen.
Doch sie zuckte nur mit den Schultern, die Augen so leblos, wie ich sie in Erinnerung hatte. Ich hatte mir ein Ende wie im Märchen gewünscht - aber so sehr ich es mir auch wünschte, es würde nicht eintreten. Johnson hatte Narben hinterlassen, die aus der Seele meiner Schwester nicht dadurch ausgelöscht wurden, dass ich Johnsons Leben ausgelöscht hatte. Wenn überhaupt, dann hatte mein Tod alles nur noch schlimmer gemacht.
Der bittere Trost, an den ich mich geklammert hatte, als ich von seinem Tod erfuhr, löste sich in nichts auf.
Von hinten brüllte Joe, Rose solle die Tür zumachen. Das wollte sie auch gerade, ohne mir Auf Wiedersehen zu sagen.
»Warte! «, rief ich. Sie hielt inne, und ich ratterte weiter. »Ich … ich komme zur Beerdigung.«
Sie starrte mich nur an und nickte dann. Die Tür fiel ins Schloss, und ich stand da, auf meiner eigenen Veranda, wie ein Idiot. »Schön«, sagte ich, diesmal wieder zu mir selbst. Ich legte die Hand auf die Glasscheibe und sagte leise: »Ich liebe dich.« Dann straffte ich die Schultern, hob den Kopf und ging durch den mit Bierdosen übersäten Garten zur Straße.
Ich wusste, ich sollte zu Alice’ Wohnung fahren, aber erst hatte ich noch eine Sache zu erledigen.
Ich lief rechts den Bürgersteig entlang, immer noch von dem Gefühl verfolgt, ich würde beobachtet. Ich trat vorsichtig auf und lauschte auf etwaige Schritte hinter mir. Ich hörte nichts, aber zweimal, als ich mich schnell
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