Erwachende Leidenschaft
anzudeuten, daß ich gelogen habe.«
»Und hast du?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil du auf mich nur wütend wirst, wenn ich dir die Wahrheit sage.«
»Du wirst mich in Zukunft nie mehr anlügen, Frau. Versprich es.«
»Du hast mich doch auch belogen.«
»Wann?«
»Als du mir sagtest, du würdest nicht mehr für Sir Richards arbeiten. Ich habe die Einkünfte in deinen Büchern gesehen, Colin, und ich habe gehört, wie er zu dir von einem neuen Auftrag sprach. Ja, du hast mich angelogen. Wenn du mir versprichst, es nie wieder zu tun, dann gebe ich dir gerne auch mein Wort.«
»Alesandra, das ist doch etwas ganz anderes.«
»O ja, da hast du recht.«
Sie war plötzlich so wütend auf ihren Mann, daß sie die Serviette auf den Tisch schleuderte. Ohne Flannaghan zu beachten, der mit einem beladenen Tablett hereinkam, fuhr sie fort. »Ich gehe keine Risiken ein, Colin, du ja! Du kümmerst dich doch keinen Deut um mich, nicht wahr?«
Sie ließ ihm keine Zeit, etwas zu antworten, sondern fauchte weiter: »Du hast dich freiwillig in Gefahr begeben. Ich würde so etwas niemals tun. Jetzt, da wir verheiratet sind, denke ich nicht nur über mein Wohlergehen nach, sondern auch über deins. Wenn dir etwas zustoßen würde, wäre ich vernichtet. Aber wenn mir etwas zustößt, bist du wahrscheinlich nur leicht verärgert, denn mein Begräbnis würde dich dazu zwingen, deine Arbeit ein paar Stunden lang ruhen zu lassen. Und nun entschuldigen Sie mich, Sir, bevor ich noch etwas sage, was ich später bereuen würde.«
Sie wartete nicht auf seine Erlaubnis, ignorierte seinen Befehl, sich wieder zu setzen, stürzte hinaus und rannte hinauf in ihr Schlafzimmer. Sie bekämpfte den Drang, ihrer Frustration durch lautes Zuknallen der Tür Luft zu machen, denn es wäre nicht sehr würdevoll gewesen.
Glücklicherweise folgte Colin ihr nicht. Sie mußte eine Weile allein sein, damit sie ihre widerstreitenden Gefühle wieder unter Kontrolle bringen konnte. Sie war verblüfft darüber, wie zornig sie über Colin geworden war. Schließlich war sie nicht sein Aufpasser. Wenn er für Richards arbeiten wollte, dann durfte und würde sie es ihm nicht ausreden.
Dennoch: Er sollte sich nicht solchen Gefahren aussetzen wollen! Wenn er irgend etwas für sie empfand, durfte er sie doch nicht einfach auf diese Art und Weise absichtlich verletzen.
Alesandra versuchte, durch Hin- und Herlaufen ihren Ärger zu überwinden. Gute zehn Minuten marschierte sie rastlos vor dem Kamin herum, während sie leise vor sich hinmurmelte.
»Die Mutter Oberin hätte sich niemals in eine solche Gefahr begeben. Sie wußte, wie sehr ich von ihr abhing. Sie liebte mich, verdammt.«
Obwohl sie nicht katholisch war, schlug Alesandra dennoch vorsichtshalber das Kreuz, um die abschließende Blasphemie zu neutralisieren.
»Ich bezweifle aber, daß Sir Richards die Nonne bittet, für ihn zu arbeiten, Alesandra.«
Der Kommentar kam von der Tür her. Sie war so mit sich beschäftigt gewesen, daß sie nicht einmal die Tür gehört hatte. Sie wandte sich um und entdeckte ihren Mann, der, die Arme lässig über der Brust gekreuzt, am Türrahmen lümmelte. Er lächelte, doch als sie die Zärtlichkeit in seinen Augen sah, bekam sie weiche Knie.
»Dein amüsierter Blick gefällt mir nicht.«
»Dein Benehmen gefällt mir nicht«, erwiderte er. »Warum hast du mir nicht gesagt, was für Sorgen dir die ganze Sache mit Sir Richards bereitet?«
»Ich wußte es ja bisher auch nicht.«
Er hob erstaunt die Augenbrauen. »Willst du, daß ich aufhöre?«
Sie wollte schon nicken, besann sich dann aber und schüttelte statt dessen den Kopf. »Ich möchte, daß du aufhören willst. Das ist nämlich ein Unterschied, Colin. Und so Gott will, wirst du ihn eines Tages verstehen.«
»Hilf mir, es jetzt zu verstehen.«
Sie wandte ihr Gesicht dem Kamin zu, bevor sie weitersprach. »Ich hätte mich niemals freiwillig in Gefahren begeben, während ich im Kloster lebte – zumindest nicht nach der Lektion, die ich dort gelernt habe. Einmal brach ein Feuer aus, und ich war drinnen gefangen. Ich konnte gerade noch entkommen, als schon das Dach einstürzte. Die Mutter Oberin war außer sich vor Sorge, ja, sie hat tatsächlich geweint. Sie war so dankbar, daß es mir gutging, und so wütend auf mich, weil ich eine der Kerzen aus den Haltern genommen hatte, um einen Brief von Victoria zu lesen, anstatt zu beten, wie ich es eigentlich hätte tun sollen … und ich fühlte mich hundeelend, weil ich
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